Die Kartause von Parma
Herzogin.
»Der Gedanke, diese Zeitung ins Leben zu rufen, ist vielleicht mein Meisterstück«, antwortete der Graf lachend. »Nach und nach will ich mir, scheinbar gegen meinen Willen, ihre Leitung durch ein paar wütende Reaktionäre aus der Hand nehmen lassen. Für die beiden Schriftleiterstellen habe ich schöne Gehälter ausgesetzt. Man wird sich von allen Seiten um diese Posten reißen. Diese Angelegenheit wird die Gemüter einen oder zwei Monate beschäftigen, und man vergißt darüber die Gefahren, die ich soeben überstanden habe.«
»Aber diese Zeitung muß doch empörend blödsinnig ausfallen.«
»Daraufrechne ich stark«, erwiderte der Graf. »Der Fürst wird sie alle Morgen lesen und die Meinung ihres Gründers bewundern. Einzelheiten wird er billigen oder mißbilligen. Von den Stunden, die er der Arbeit widmet, sind damit schon zwei in Anspruch genommen. Die Zeitung soll Widerspruch erregen, aber wenn ernstliche Klagenentstehen, in acht bis zehn Monaten, wird sie gänzlich in den Händen wütender Reaktionäre sein. Dann muß diese Partei, die mich ärgert, Erwiderungen bringen, und ich werde Einwände gegen die Zeitung machen. Im Grunde sind mir hundert fürchterliche Ungereimtheiten lieber als ein einziger Gehängter. Wer denkt in zwei Jahren noch an irgendeinen Blödsinn, der in einer Nummer der amtlichen Zeitung gestanden hat? Dagegen würde der Haß der Söhne und der Familie eines Gehängten mich so lange verfolgen, wie ich lebe, und mir womöglich mein Dasein verkürzen.«
Die Duchezza, immer leidenschaftlich bei der Sache, immer tätig, niemals müßig, hatte mehr Verstand als der gesamte Hof von Parma, aber sie war nicht geduldig und kaltblütig genug, um in Intrigen Glück zu haben. Gleichwohl hatte sie es so weit gebracht, die Machenschaften der verschiedenen Klüngel eifrigst zu verfolgen. Sie begann sogar persönliches Ansehen beim Fürsten zu genießen. Clara Paolina, die regierende Fürstin, obwohl mit Ehren überschüttet, war in eine höchst veraltete Hofordnung gezwängt und hielt sich darum für die Unglücklichste aller Frauen. Die Herzogin von Sanseverina machte ihr den Hof und unternahm es, ihr zu beweisen, daß sie gar nicht so unglücklich sei. Man muß wissen, daß der Fürst seine Gemahlin nur zur Mittagstafel sah; diese Mahlzeit dauerte dreißig Minuten, und es vergingen ganze Wochen, ohne daß der Fürst ein Wort an Clara Paolina richtete. Die Sanseverina versuchte das alles zu ändern. Sie heiterte den Fürsten auf, und das gelang ihr um so besser, weil sie sich ihre volle Unabhängigkeit zu wahren gewußt hatte. Auch beim besten Willen wäre es ihr doch nicht gelungen, keinen von den Trotteln zu verletzen, von denen es an diesem Hofe wimmelte. Ihre Ungeschicklichkeit in dieser Hinsicht machte sie bei der Mehrzahl der Hofschranzen verhaßt, lauter Grafen und Marchesi, die durchschnittlich ihre fünftausend Lire im Jahre zu verzehren hatten. Mit diesem Pech fand sie sichvom ersten Tage an ab, und so bemühte sie sich lediglich um die Gunst des Monarchen und seiner Gemahlin, von der sich der Erbprinz völlig leiten ließ. Die Duchezza verstand es, den Fürsten zu belustigen, und da der Fürst ihre geringsten Äußerungen aufmerksam anhörte, nützte sie das aus, um den Höflingen, die sie haßte, Lächerlichkeiten anzuhängen. Seit jenen Torheiten, zu denen ihn Rassi verleitet hatte – und blutige Torheiten lassen sich nicht wieder gutmachen –, bekam der Fürst zuweilen Anwandlungen von Angst und oft von Langerweile. Das machte ihn trübsinnig und neidisch. Er war sich bewußt, wie wenig Freude er hatte, und er ward schlechter Laune, wenn er zu sehen glaubte, daß sich andere vergnügten. Der Anblick von Glück machte ihn wütend.
»Wir müssen unsere Liebe verheimlichen«, sagte die Duchezza zu ihrem Freunde und gab dem Fürsten zu verstehen, daß der Graf, ein so achtenswerter Mensch er auch sei, ihr nur mäßig gefalle.
Diese Eröffnung bereitete Serenissimus einen glücklichen Tag. Von Zeit zu Zeit ließ die Duchezza durchblicken, daß sie den Plan hege, alljährlich etliche Monate Urlaub zu nehmen, um sich Italien anzusehen, das sie noch gar nicht kenne; sie wolle Neapel, Florenz, Rom besuchen. Nun vermochte nichts auf der Welt den Fürsten mehr zu ärgern als eine so offenkundige Fahnenflucht. Darin lag eine seiner Hauptschwächen. Handlungen, aus denen auch nur der Schein von Geringschätzung gegen seine Residenzstadt sprach, schnitten ihm ins Herz. Er war sich
Weitere Kostenlose Bücher