Die Kartause von Parma
vielleicht das beste, wenn Sie ohne Verzug abreisten nach Sacca, auf Ihr Landgut am Po. Von da ist es nur eine halbe Stunde bis zum österreichischen Gebiet.«
Dieser Augenblick war für die Liebe wie für die Eigenliebe der Herzogin gleich köstlich. Sie blickte den Grafen an, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Der allmächtige Minister, den der Haufe der Hofschranzen umschmeichelte wie den Fürsten selbst, war bereit, alles um ihretwillen im Stich zu lassen, – und so leichten Herzens! Als sie wieder in ihren Gemächern erschien, war sie närrisch vor Freude. Alles neigte sich tief vor ihr.
»Wie das Glück die Duchezza verwandelt!« flüsterten die Hofmenschen von allen Seiten. »Sie ist nicht wiederzuerkennen. Endlich läßt sich diese über alles erhabene Römerseele herab, die unerhörte Gunst zu würdigen, die der Fürst ihr heute geschenkt hat!«
Bevor man auseinanderging, trat der Graf zu ihr heran. »Ich muß Ihnen eine Neuigkeit bringen.« Sofort zog sich alles um die Duchezza zurück. »Der Fürst«, fuhr der Graf fort, »hat sich bei seiner Rückkehr ins Schloß bei seiner Frau melden lassen. Stellen Sie sich die Überraschung vor! ›Ich komme,‹ hat er zu ihr gesagt, ›um Ihnen von einer wirklich ganz allerliebsten Abendgesellschaft zu berichten, an der ich soeben im Hause der Sanseverina teilgenommen habe. Sie selbst hat mich gebeten, Ihnen bis ins einzelne zu erzählen, wie sie diesen alten, verräucherten Palast wieder instand gebracht hat.‹ Dann hat der Fürst Platz genommen und begonnen, Ihre Gemächer der Reihe nach zu beschreiben. Länger als fünfundzwanzig Minuten verweilte er bei seiner Gemahlin. Sie weinte vor Freude. Trotz ihrer Klugheit hat sie kein Wort zu finden vermocht, um die Unterhaltung in dem leichten Ton fortzusetzen, den Serenissimus anzuschlagen geruht hat.«
Im Grunde war der Fürst, was die Liberalen auch dagegen sagen mochten, kein bösartiger Mensch. Allerdings hatte er eine reichliche Anzahl von ihnen einsperren lassen, aber nur aus Furcht, und er pflegte gelegentlich zu sagen, wie um sich selbst über gewisse Erinnerungen zu beruhigen: »Es ist besser, wir schlagen den Teufel tot, als daß er uns totschlägt!« Am Tage nach jener Abendgesellschaft war er äußerst vergnügt. Er hatte zwei schöne Taten vollbracht: er war zu der Donnerstaggesellschaft gefahren und hatte mit seiner Frau gesprochen. Bei der Tafel richtete er das Wort an sie. Kurz und gut, jener Donnerstag bei der Duchezza hatte eine Palastrevolution heraufbeschworen, von der ganz Parma widerhallte.
Die Raversi war außer sich, und die Duchezza hatte eine doppelte Freude. Sie hatte ihrem Geliebten nützlich sein können und ihn verliebter gefunden als je.
»Alles wegen eines unbesonnenen Einfalls!« sagte sie zum Grafen. »Ohne Zweifel wäre ich freier in Neapel oder in Rom, aber fände ich dort ein so fesselndes Spiel? Nein, mein lieber Graf, niemals! Und Sie sind mein Glück!«
Siebentes Kapitel
Derlei Hofhistörchen, wie die soeben erzählten, füllen die Geschichte der nächsten vier Jahre. Jedes Frühjahr kam die Marchesa del Dongo mit ihren Töchtern und verlebte zwei Monate im Palazzo Sanseverina oder auf dem Gute Sacca am Ufer des Po. Es gab da herrliche Stunden, öfters war von Fabrizzio die Rede, aber der Graf wollte ihm niemals einen Besuch in Parma gestatten. Die Duchezza und der Minister hatten wohl ab und zu gewisse Unbesonnenheiten Fabrizzios wieder gutzumachen, aber im allgemeinen führte er mit ziemlichem Verständnis die ihm vorgeschriebene Lebensweise; er gab sich eben wie ein hoher Herr, der Theologie studiertund seine Laufbahn nicht allzusehr auf seine Tugendhaftigkeit baut.
In Neapel hatte ihn eine außerordentlich rege Vorliebe für das Studium der Antike ergriffen. Er veranstaltete Ausgrabungen. Diese Neigung hatte seine ehemalige Pferdeliebhaberei fast verdrängt. Seine englischen Vollblüter hatte er verkauft, um seine Grabungen bei Misenum fortsetzen zu können. Dort hatte er eine Tiberiusbüste gefunden [Genau so hat Beyle selbst eine Tiberiusbüste besessen, die er (1832) einem Bauern abgekauft hatte, der sie beim Graben einer Grube gefunden hatte.] , die den Kaiser in jugendlichem Alter darstellte; sie gehört zum Schönsten, was die Antike hinterlassen hat. Die Entdeckung dieser Büste war wohl die innigste Freude, die er in Neapel erlebte. Er besaß eine viel zu hohe Seele, als daß er es den anderen jungen Leuten gleichtun und etwa die Rolle des Verliebten
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