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Die Kartause von Parma

Die Kartause von Parma

Titel: Die Kartause von Parma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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Pelze und ihren schönen Quadranten behielt. Jede Voraussage der Zukunft ist ein Eingriff in die Ordnung der Dinge und droht ihren Lauf zu ändern, und dann sinkt die ganze Wissenschaft zusammen wie ein Kartenhaus. Übrigens hätte ich der immer noch so hübschen Duchezza schlimme Dinge sagen müssen. Genug! Laß dich in deinem Schlummer nicht etwa durch die Glocken stören; sie vollführen einen Höllenlärm dicht neben deinen Ohren, wenn zur Frühmesse geläutet wird. Später wird ein Stockwerk tiefer die große Glocke geläutet, daß alle meine Instrumente klappern. Heute ist San Giovita, der Tag des Märtyrers und Soldaten. Du weißt, das kleine Dorf Grianta hat den nämlichen Schutzpatron wie die große Stadt Brescia, was, beiläufig bemerkt, meinen berühmten Lehrer Giacomo Marini aus Ravenna zu einem spaßigen Irrtum verleitet hat. Er hat mir des öfteren prophezeit, meiner harre eine recht reiche Pfründe. Er glaubte, ich würde Pfarrer der prächtigen Kirche San Giovita in Brescia. Ich bin Pfarrer eines kleinen Dorfes von siebenhundertundfünfzig Herdstätten geworden! Es hat auch so sein Gutes gehabt. Ich habe erkannt – es ist noch keine zehn Jahre her –, welches Schicksal meiner als Pfarrer von Brescia geharrt hätte: ich wäre ins Gefängnis auf einem Berg in Mähren gekommen, dem Spielberg. Morgen werde ich dir allerlei Leckerbissen bringen von dem Festessen, das ich sämtlichen Pfarrern der Umgegend gebe, die herkommen, um mir beim Hochamt zu ministrieren. Ich werde sie unten hinlegen, mache aber keine Versuche, mich zu sehen. Gehe erst hinunter, um dir diese guten Sachen zu holen, wenn du mich hast weggehen hören. Du darfst mich bei Tage nicht sehen, und da die Sonnemorgen um 7 Uhr 27 Minuten untergeht, werde ich erst gegen acht kommen und dich begrüßen. Du mußt in der zehnten Stunde, ehe die Uhr zehn schlägt, wieder weg von hier. Gib acht, daß man dich nicht an den Turmfenstern sieht. Die Gendarmen haben deinen Steckbrief; sie stehen gewissermaßen unter dem Befehl deines Bruders, der ein berüchtigter Gewaltmensch ist. Der Marchese del Dongo ist altersschwach,« fügte Blanio traurig hinzu, »und wenn er dich wiedersähe, steckte er dir vielleicht etwas zu; aber dergleichen Vorteile, an denen ein Makel hängt, ziemen sich nicht für einen Mann wie dich, dessen Kraft eines Tages sein gutes Gewissen sein soll. Der Marchese verabscheut seinen Sohn Ascanio, und diesem Sohne fallen einst seine fünf bis sechs Millionen zu. Das ist Gerechtigkeit. Wenn er stirbt, wirst du ein Jahresgeld von viertausend Franken bekommen und fünfzig Ellen schwarzes Tuch zu Trauerkleidern für deine Leute.«

Neuntes Kapitel
    Fabrizzios Seele war durch die Reden des Alten, durch seine angestrengte Aufmerksamkeit und seine Übermüdung erregt. Lange konnte er nicht einschlafen, und sein Schlaf ward von Träumen, vielleicht Ahnungen der Zukunft, heimgesucht. Am Morgen um zehn Uhr weckte ihn ein Schwanken des ganzen Turmes; ein schreckliches Getöse schien von draußen zu kommen. Gedankenlos stand er auf; es war ihm, als stürze die Welt zusammen. Dann wähnte er sich im Gefängnis. Erst nach einer Weile besann er sich, daß das Getöse von der Hauptglocke herrührte, die vierzig Bauern zu Ehren des großen San Giovita in Bewegung setzten. Zehn hätten genügt.
    Fabrizzio sah sich nach einem geeigneten Platz um, von wo er alles überblicken konnte, ohne selbst gesehen zu werden. Er bemerkte, daß man von dieser ansehnlichen Höhe aus die Gärten überschauen konnte, sogar den Innenhofdes väterlichen Schlosses. Er hatte seinen Vater vergessen. Der Gedanke, daß dessen Lebensende nahe sei, wandelte alle seine Gefühle. Deutlich sah er sogar die Spatzen, die ein paar Brotkrumen auf der langen Terrasse am Speisesaal aufpickten. ›Das sind die Nachkommen derer, die ich einst zahm gemacht habe‹, sagte er sich. Auf dieser Terrasse standen wie auf allen anderen Terrassen des Schlosses zahlreiche Orangenbäume in mehr oder minder großen Tonkübeln. Ihr Anblick rührte Fabrizzio. Der Blick in den Innenhof mit diesen wohlverschnittenen Bäumen, die im grellen Sonnenlicht scharfe Schatten warfen, war wirklich großartig.
    Wiederum kam ihm die Altersschwäche seines Vaters in den Sinn. ›Das ist wahrlich sonderbar‹, sagte er zu sich. ›Mein Vater ist nur fünfunddreißig Jahre älter als ich. Fünfunddreißig und dreiundzwanzig machen zusammen nur achtundfünfzig!‹ Seine Blicke hafteten starr an den Zimmerfenstern jenes

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