Die Kartause von Parma
den ersten Worten zärtlicher Herzensergießungen. Spielte der Abbate den allwissenden Astrologen oder hatte ihm, da er häufig an Fabrizzio dachte, wirklich ein Zeichen des Himmels seine von reinem Zufall geleitete Rückkehr verkündet?
»Nun naht mein Tod!« sagte der Abbate Blanio.
»Wie?« rief Fabrizzio ergriffen.
»Gewiß,« fuhr der Abbate in ernstem, aber durchaus nicht traurigem Tone fort, »fünf und einen halben oder sechs und einen halben Monat nach dem Wiedersehen mit dir, wodurch das Maß meines Glückes voll ist, wird mein Leben verlöschen, come face al mancar dell´ alimento (wie ein Lämpchen, dem das Öl ausgeht). Wahrscheinlich werde ich einen oder zwei Monate zubringen, ohne zu sprechen, ehe mein letztes Stündlein schlägt; dann werde ich in die ewige Seligkeit eingehen, wenn Gott findet, daß ich meine Pflicht auf dem Posten erfüllt habe, auf den er mich als Wache gestellt hat.
Du wirst sehr müde sein, und nach dieser Erregung wirst du bald einschlafen. Seitdem ich dich erwarte, halte ich für dich ein Brot und eine Flasche Branntwein in meinem großen Instrumentenkasten versteckt. Stärke dich damit, damit du mir noch ein paar Augenblicke lang zuhören kannst. Es steht in meiner Macht, dir verschiedene Dinge zu sagen, ehe die Nacht dem Tage völlig weicht. Ich sehe sie jetzt deutlicher, als ich sie vielleicht morgen sehen werde. Denn, mein Kind, wir sind allezeit schwach und müssen diese Schwachheit immer mit berücksichtigen. Morgen ist der alte Mann, der irdische Mensch, vielleicht mit Todesvorbereitungen beschäftigt, und morgen abend um neun Uhr mußt du mich verlassen.«
Fabrizzio hatte ihm nach alter Gewohnheit schweigend zugehört.
»Es ist doch wahr,« fuhr der Greis fort, »daß du bei dem Versuch, nach Waterloo zu kommen, zunächst in ein Gefängnis geraten bist?«
»Ja, mein Vater«, erwiderte Fabrizzio erstaunt.
»Nun, das war ein seltenes Glück, denn von meiner Stimme gewarnt, kann sich deine Seele auf ein anderes, viel härteres, viel schrecklicheres Gefängnis vorbereiten. Wahrscheinlich wirst du nur durch ein Verbrechen wieder daraus entkommen, aber Gott sei Dank wird diesesVerbrechen nicht von dir begangen werden. Laß dich nie zu einem Verbrechen hinreißen, wie stark auch die Versuchung dazu sein möge! Ich glaube vorauszusehen, daß es sich um die Ermordung eines Unschuldigen handelt, der nichts ahnend sich deine Rechte anmaßt. Überwindest du die mächtige Versuchung, die scheinbar durch die Satzungen der Ehre gerechtfertigt ist, so wird dein Leben in den Augen der Menschen sehr glücklich sein und wahrhaft glücklich in den Augen des Weisen«, fügte er nach kurzem Nachdenken hinzu. »Du wirst sterben wie ich, mein Sohn, in einem hölzernen Lehnstuhl sitzend, fern allem Überfluß und enttäuscht vom Überfluß und, wie ich, ohne schwere Selbstanklagen.
Jetzt, da die künftigen Dinge zwischen uns abgetan sind, könnte ich nichts von Bedeutung hinzufügen. Vergeblich habe ich zu ergründen gesucht, von wie langer Dauer deine Gefangenschaft sein wird; handelt es sich um ein halbes Jahr, um ein ganzes Jahr, um zehn Jahre? Ich habe nichts entdecken können. Vermutlich habe ich irgendeinen Fehler begangen, und der Himmel wollte mich mit dem Kummer über diese Ungewißheit strafen. Ich habe nur gesehen, daß nach der Gefangenschaft – aber ich weiß nicht, ob das im Augenblick deiner Befreiung ist – etwas geschehen wird, was ich ein Verbrechen nenne. Zum Glück, ich glaube das bestimmt, wird es nicht durch dich begangen. Wenn du so schwach wärest, an diesem Verbrechen teilzunehmen, sind alle meine übrigen Berechnungen nur eine lange Kette von Irrtümern. Dann wirst du keineswegs in Seelenfrieden, nicht in einem hölzernen Lehnstuhl und nicht in weißem Gewand sterben.«
Bei diesen Worten wollte der Abbate Blanio aufstehen. Jetzt erst bemerkte Fabrizzio an ihm die tiefen Spuren des Alters. Er brauchte fast eine Minute, um sich zu erheben und sich nach Fabrizzio umzuwenden. Der wartete regungslos und schweigsam. Der Abbate umarmte ihn mehrmals und drückte ihn in innigster Zärtlichkeit an sich. Darauf sagte er mit seiner vollen früheren Heiterkeit:»Versuche, es dir inmitten meiner Instrumente ein wenig bequem zum Schlafen zu machen. Nimm meine Pelze! Ein paar darunter sind kostbar; die Duchezza Sanseverina hat sie mir vor vier Jahren geschenkt. Sie bat mich, das Horoskop für dich zu stellen. Ich hütete mich, ihr Mitteilungen zu machen, wenn ich auch ihre
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