Die Karte der Welt (German Edition)
bevorstand. Es waren verängstigte Augen. Trotz Hörnern, Zähnen und Klauen erkannte er etwas Menschliches, das sich in diesen Augen regte.
Wex setzte ihm die Spitze seines Schwerts an den Hals. »Hör auf!«, schrie er, und zu seiner Überraschung gab der Düsterling tatsächlich Ruhe.
»Was tust du da? Bring ihn um!«
»Er hat sich ergeben«, erwiderte Wex. »Ich nehme ihn gefangen.«
»Was? Nein!« Spragg sprang auf die Füße und zog seine eigene Klinge.
Wex ließ sein Schwert, wo es war. »Du! Bleib unten!«
Der Düsterling gehorchte.
»Siehst du, er versteht.«
Unter Spraggs lautstarkem Protest hielt Wex die Kreatur in Schach, bis Pinch, Arkh und Mungo keuchend angerannt kamen.
»Ah, was haben wir denn da?«, fragte Pinch.
»Sieht aus, als hätten sie ihn gefangen genommen«, bemerkte Arkh.
»Gut, denn wir haben unseren getötet.«
» Du hast ihn getötet«, berichtigte Arkh.
»Er war dabei zu fliehen.«
Mungo packte den Düsterling und hielt ihn fest.
»Spragg hat ihn überwältigt«, sagte Wex hastig. »Er war sehr mutig.«
»Wer?«, fragte Pinch.
»Der junge Winster«, korrigierte sich Wex.
»Gute Arbeit«, erklärte der Dieb und klopfte Spragg auf die Schulter. »Fessle ihn, Mungo. Vielleicht können wir ein bisschen was darüber herausfinden, wo der Rest der Bande steckt.«
Mungo und Spragg bogen dem Düsterling Arme und Beine auf den Rücken und fesselten ihn mit dem Seil, das sie von den Flussleuten bekommen hatten.
Arkh sah wortlos zu. Er wirkte angespannt.
»Stinkt ganz schön, nicht?«, meinte Pinch und beobachtete, wie Spragg und Mungo das Biest verschnürten. Sein Blick wanderte zu Arkh, dann wieder zurück zu der Kreatur auf dem Boden. »Sag mal, Arkh, irgendwie sieht das Biest dir ganz schön ähnlich.«
»Wartet«, keuchte Spragg und sprang angewidert zurück. »Der Dieb hat recht. Die Ähnlichkeit ist viel zu stark, um nur Zufall zu sein.«
Der gefesselte Düsterling lag mit dem Gesicht nach oben. Die Hörner und scharfen Zähne waren deutlich zu erkennen.
Arkh stand da und starrte das Wesen an. So ernst hatte Wex ihn noch nie gesehen. Die Farbe der Haut und die Form der Klauen waren beinahe der einzige Unterschied. Der Düsterling hatte keine Handflächen, die Klauen wuchsen direkt aus dem Gelenk. Arkhs Hände hatten Finger, sahen menschlicher aus. Dennoch war die Ähnlichkeit frappierend, und Arkh versuchte erst gar nicht, sie zu leugnen.
»Kein Wunder, dass die Flussleute so misstrauisch waren!«, fuhr Spragg aufgeregt fort. »Deshalb wollten ihre Kinder zuerst auch nicht ans Ufer kommen.«
»Da haben wir wohl ein Problem«, merkte Pinch an. »Ich bin der Letzte, der sich von Äußerlichkeiten abschrecken lässt, aber es gibt Leute, die denken da anders.«
»Arkh ist kein Dämon«, warf Wex ein.
»Aber so gut wie«, entgegnete Spragg. »Er sieht genauso aus wie die Bestien, die eine ganze Sippe harmloser Händler niedergemetzelt haben.«
Mungo brummte etwas.
»Der Große sagt, dass Fretter das nicht gefallen wird«, übersetzte Pinch. »Leider muss ich ihm zustimmen.«
»Ich kann es erklären«, sagte Arkh.
»Das solltest du auch besser«, erwiderte Pinch.
Wex verzog das Gesicht. »Er soll sich rechtfertigen? Jetzt? Vor uns allen?«
»Wenn es eine gute Geschichte ist, können wir vielleicht beim Hauptmann ein gutes Wort für ihn einlegen. Wenn wir sie erst im Lager hören, werden wir genauso überrascht sein wie unser nervöser Fretter. Und ihr wisst, wie sehr er Überraschungen hasst.«
»Ich werde meine Geschichte erzählen«, sagte Arkh. Er schwieg einen Moment, ließ die Vergangenheit vor seinem inneren Auge wiederauferstehen. »Ich war ein Gräuel für jeden, der mich je erblickte, schon immer. Das Einzige, was mich vor einem frühzeitigen Tod bewahrte, war die Tatsache, dass ich bis zum siebzehnten Lebensjahr im Verborgenen aufgezogen wurde. Ab da konnte ich mich selbst schützen. Ich erzählte euch bereits, dass meine Mutter ein Mensch ist, und das ist wahr. Sie hielt mich verborgen, nicht aus Schande, wie ihr vielleicht glauben mögt, sondern aus Liebe. Sie war eine Hofdame.«
Pinch und Mungo tauschten einen Blick.
»Unsinn!«, fuhr Spragg auf.
»Lass den Halbmenschen fortfahren«, sagte Pinch.
»Sie war mit einer Eskorte am Fuß der Zornberge unterwegs, am Rand des Schleiers, auf der Suche nach ihrer verlorenen Liebe. Die Kutsche wurde überfallen, ihre Eskorte getötet. Meine Mutter wurde entführt, doch sie kam zurück, wurde am nächsten Tag
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