Die Karte der Welt (German Edition)
Spragg.
»Augen?«
»Sie blinzeln, gehen auf und zu.«
»Woher weißt du, dass es nicht ein Reh ist?«
»Die Höhe. Sie sind zu weit oben für ein Reh, und auch für einen Zwerg. Außerdem sind sie direkt neben der Pinie. Der, dem sie gehören, hält sich hinter dem Baumstamm versteckt und lugt nur ab und zu hervor. Ein Reh tut so etwas nicht, wenn es sich versteckt. Es hält absolut still. Und siehst du den Falken direkt darüber? Er jagt nicht. Sieh dir die Klauen an, wie sie schlaff herabhängen. Er ist aufgeflogen und traut sich nicht zurück auf seinen Ast, weil darunter irgendeine Gefahr lauert.«
»Habt Ihr das Blurdo schon gesagt?«, fragte Pinch.
»Fretter versucht gerade, die Aufmerksamkeit des misstrauischen kleinen Kerls zu erregen. Er hat uns unten eingesperrt, ohne Möglichkeit, mit ihm Kontakt aufzunehmen.«
Pinch übersetzte für Adara, die sofort etwas erwiderte.
»Was hat sie gesagt?«, fragte Wex.
»Sie ist verblüfft, wie der junge Bursche es geschafft hat, einen einzelnen Düsterling in dem Dickicht zu erspähen.«
Spragg versuchte, sich möglichst unbeeindruckt von dem Kompliment zu zeigen. »Das war noch gar nichts. Nur der auffälligste«, erklärte er, während er bereits wieder zurück zu seinen Kameraden eilte. »Es sind noch viel mehr, aber besser versteckt.«
34
»Blurdo besteht weiterhin darauf, dass wir uns ausschließlich in den ersten drei Stockwerken aufhalten«, sagte Fretter. »Aber er wird sich uns mit einer Gruppe Lanzenträger anschließen.«
Blurdo erschien mit denselben zehn Männern, die ihn auch zum Fluss begleitet hatten. Fretter nickte Cirilla zu, die ebenfalls mit nach unten gekommen war.
»Sie weigert sich, mit den Frauen oben zu bleiben«, schimpfte Blurdo.
»Ich habe weder Strickzeug noch einen Säugling zum Stillen«, erklärte sie barsch.
»Unsere Frauen sind viel zu wenige«, brummte Blurdo. »Gerade einmal eine für drei Männer. Wir setzen ihr Leben nicht gern aufs Spiel.«
»Wie ist unsere Strategie, Blurdo?«, fragte Fretter.
»Es ist alles abgeriegelt. Wir warten. Die Düsterlinge sind wilde, hirnlose Kreaturen. Es spielt keine Rolle, mit wie vielen davon wir es zu tun haben. Wir haben Wasser und Essen für eine ganze Woche. Die Gefahr wird vorübergehen, und Ihr könnt weiterziehen.«
»Nur für eine Woche?«, sagte Pinch mit gerunzelter Stirn zu Mungo.
Der Riese schüttelte grimmig den Kopf, und Wex wurde klar, dass die beiden eine Woche für zu wenig hielten.
»Ihr denkt doch nicht daran abzuhauen, oder?«, flüsterte er Pinch zu.
»Wenn wir warten, bis sie aus ihren Büschen hervorkommen, wird die Zeit verdammt knapp, es sich noch einmal anders zu überlegen«, flüsterte Pinch zurück. »Dieser Turm hier kann unsere Trutzburg sein, aber auch unser Totenbett. Es kommt ganz darauf an, wie viele und wie schlau unsere Verfolger sind.«
»Sie sind dumme Bestien. Sowohl Blurdo als auch die Flussleute haben das gesagt.«
»Und was ist mit ihnen passiert, diesen Flussleuten? Die Pfeile und die unbrauchbar gemachten Boote scheinen mir da eine andere Sprache zu sprechen. Irgendetwas oder irgendjemand hat hier noch die Finger im Spiel …«
Die Lanzenträger hatten sich vor den Fenstern versammelt und spähten nach draußen. Sie waren ein seltsamer Haufen, diese kleinen Männer, trugen Beutel voll Obst bei sich und Kleidung am Leib, die kaum mehr war als ein Stück Stoff mit einem Loch darin, aus dem ein rotbackiges Gesicht ragte.
Ab und zu wurde eine der Luken in der Decke geöffnet, aber immer nur nach einem bestimmten Klopfzeichen, und es wurden Neuigkeiten von oben überbracht. Die meiste Zeit jedoch war Blurdo damit beschäftigt, Kraven und Fretter nach der Politik auszufragen, die der Palast von Skye mittlerweile verfolgte. Wex saß dicht daneben, tat, als würde er gar nicht hinhören, und lauschte dabei, so gut er konnte. Die Zwergensippe hier im Turm schien nicht die einzige zu sein, aber die Räumlichkeiten waren begrenzt, und Blurdos Klan beanspruchte ihn ausschließlich für sich. Die anderen Klans lebten in den Hügeln weiter östlich. Es wurde nicht davon gesprochen, sie zu Hilfe zu rufen. Blurdo war felsenfest davon überzeugt, dass die Düsterlinge noch eine Weile herumschleichen und dann wieder abziehen würden. Falls nötig, konnten sie mit einer Salve Lanzen nachhelfen. Die Flussmenschen, mochten ihre Seelen in Frieden ruhen, hatten unter freiem Himmel gelebt, ohne Waffen, was seiner Meinung nach ein großer Fehler war,
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