Die Karte der Welt (German Edition)
Winzlinge am Fenster erschien statt des Hauptmanns, wusste Vill Bescheid und machte sich auf den Weg zurück zum Lager. Er musste die nähere Umgebung absuchen, ob irgendjemand vielleicht ihre Linien durchbrochen hatte.
Zum ersten Mal seit Tagen war das Glück ihm wieder hold. Schlitzer hatte seine Stimme gehört und wartete neben dem zuvor noch verlassenen Scheiterhaufen auf Vill. Der Düsterling schien ängstlich und begierig zugleich, mit ihm zu sprechen.
»Ich muss Euch etwas sagen«, verkündete Schlitzer und klapperte aufgeregt mit den Klauen. »Es geht um den Kartenzeichner.«
51
Entlang des Flusses schlichen sie weiter. Arkh trug Kraven über der Schulter. Sie sprachen wenig, außer es war absolut notwendig, und auch dann nur leise. Das Stöhnen des Magiers war ein Problem, solange sie noch in der Nähe des Düsterlinglagers waren, aber wenn sie erst Addels Brücke hinter sich gelassen hatten, würde das Tosen des Flusses es übertönen. Es war schwierig, sich in der Dunkelheit zurechtzufinden, vor allem auf dem glitschigen Untergrund. Arkh schaffte es irgendwie, sich lautlos von Stein zu Stein zu bewegen, während Wex unbeholfen durchs seichte Wasser stolperte. Die Angst, doch noch von einem Düsterlingspäher entdeckt zu werden, ließ ihn derart verkrampfen, dass seine Fingernägel sichelmondförmige Abdrücke in den Handflächen hinterließen und er alle paar Minuten die Arme ausschütteln musste.
Sie hatten nicht lange diskutiert, wer Kraven tragen würde. Arkh hatte ihn einfach hochgehoben, die Fesseln durchgeschnitten und ihn sich über die Schulter gelegt. Der Magier blutete immer noch. Sie hatten nicht mehr tun können, als seinen Oberkörper fest mit Stoff zu umwickeln, um die Wunden zu verschließen, die Schlitzer ihm beigebracht hatte. Insgesamt waren es acht dreieckige Schnitte. In zwei parallelen Reihen verliefen sie von der Brust bis hinunter zum Bauch, die Seiten der Dreiecke etwa eine Handbreit lang.
»Wie hast du es aus dem Turm herausgeschafft?«, fragte Wex, nachdem sie den Belagerungsring der Düsterlinge etwa eine Wegstunde weit hinter sich gelassen hatten.
»Zu Fuß«, antwortete Arkh sachlich. »Der Fäkaliengeruch wurde unerträglich, und nachdem die unterste Ebene nicht mehr verteidigt wurde, bot sie auch keinen Schutz mehr, also ging ich nach draußen. Die Nacht verbarg mich, und ich versuchte, auf Abstand zu den Düsterlingen zu bleiben. Wenn sie mich aus der Nähe sahen, hielten sie mich für einen Sonderling ihrer eigenen Rasse, der wohl von einer anderen Sippe stammte. Ihre Intelligenz ist nicht besonders ausgeprägt.«
Arkhs Mut verblüffte Wex. Sich unter den Düsterlingen zu bewegen und so zu tun, als wäre er einer von ihnen, war etwas, das er nie fertigbringen würde. Bei Tageslicht hätte die Scharade kaum standgehalten, aber während der Nacht fiel seine hellere Hautfarbe nicht so auf. Arkh erzählte Wex auch von seiner Mutter. Wenn Wex seinen Worten Glauben schenkte, war sie in jeder Hinsicht die wunderbarste Frau auf Erden gewesen. Stolz und freimütig erzählte er von ihr, ganz anders, als er sich in Anwesenheit von Spragg verhalten hatte. Er nannte Wex sogar ihren Vornamen, der ihm jedoch nichts sagte, weil sie den Hof bereits vor vierzig Jahren verlassen hatte. Was die Obrigkeit von Skye betraf, kannte Wex ohnehin nur landläufigen Klatsch und Gerüchte, also war es keine Überraschung und erst recht keine Beleidigung, dass er noch nie von ihr gehört hatte.
Wex’ Nerven beruhigten sich zusehends, je weiter sie das Düsterlinglager hinter sich ließen. Laut Arkhs Schilderung war der Großteil der Düsterlinge immer noch in heller Aufregung. Die fleischfressenden Rinder waren mitten durch ihr Lager gepflügt und hatten sie auseinandergetrieben wie einen Vogelschwarm. Es würde noch eine ganze Zeit lang dauern, bis sie einen Spähtrupp nach ihnen aussenden konnten. Und selbst wenn – Wex hatte Schlitzer gesagt, er würde nach Norden gehen, nicht nach Süden, und jetzt beglückwünschte er sich zu dieser schlauen List. Frühestens am nächsten Morgen würden die Düsterlinge dahinterkommen, in welche Richtung er tatsächlich unterwegs war, und dann wäre ihre Spur immer noch schwer zu verfolgen, weil sie die meiste Zeit durch den Fluss wateten.
Das weit größere Problem war, die anderen wiederzufinden. Sie hatten sich flussaufwärts durchschlagen wollen, aber was sie nicht gesagt hatten, war, wie weit. Mit weniger als einem halb fertigen Plan waren sie
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