Die Karte der Welt (German Edition)
das Thema. »Was ist aus unserer temperamentvollen kleinen Freundin geworden? Sie scheint mir nicht …«
»Cirilla? Doch, sie lebt. Sie ist im Turm geblieben.«
»Im Turm geblieben?«
»Sie will sich um die Flusskinder kümmern.«
»Nun, das sind gute Nachrichten.«
»Sie hat gesagt, wenn nötig, würde sie Blurdo sogar heiraten«, fügte Wex hinzu.
Einen kurzen Moment lang sah Pinch Wex an, als hätte er ihm eine Ohrfeige verpasst. Schließlich schüttelte der Dieb den Kopf und lachte gezwungen. »Na dann, viel Glück.«
»Was hat sie eigentlich verbrochen?«, fragte Wex. Er kannte die Geschichte immer noch nicht. Cirilla hatte jedes Mal gereizt auf das Thema reagiert, und Wex hatte lieber nicht weiter nachgefragt. Pinch hingegen hatte immer wieder kleine, spitze Kommentare abgegeben. Er wusste Bescheid.
»Sie hat einen Mann getötet. Einen Händler. In seinem Schlafzimmer, er war unbewaffnet. Danach hat sie ihn ausgeraubt. Aber ich glaube, dieser Punkt dürfte ihn nicht mehr so sehr interessiert haben.«
»Passt irgendwie nicht zu einer Frau, die sich um einen Haufen fremder Kinder kümmert.«
»Oh, das passt sogar sehr gut zu ihr«, erwiderte Pinch. »Zu dieser mürrischen, fürsorglichen Bärenmutter.«
»Das verstehe ich nicht.«
Mungo ließ Pinch vermelden, dass er müde vom Schleppen war, und sie legten eine kurze Rast ein. Außerdem hatten sich Kravens Verbände gelockert, und Wex nutzte die Zeit, um die Wunden des Magiers zu versorgen, während Pinch in einem fort plauderte, als säßen sie bei einem Krug Bier in Hamptens Taverne.
»Cirilla hatte einen Sohn, musst du wissen. Er war ihr einziger Sohn, gezeugt von einem Vater, der sich einen Dreck um sein uneheliches Kind scherte. Und was macht so eine Mutter, die keinen Vater zu ihrem Kind hat? Sie konzentriert ihre ganze Liebe auf den Nachwuchs. Wie eine Bärenmutter eben. Doch eines Tages wurde der kleine Unglückspilz krank, und Cirilla ging nach Skye, um ein Heilmittel für ihn zu besorgen. Sie war bereit, alles zu tun, um das nötige Geld dafür aufzutreiben, egal wie hoch der Preis auch sein würde. Aber die Stadt ist kein freundlicher Ort für Frauen wie sie. Ich war so höflich, nie zu fragen, welche Erniedrigungen sie ertragen musste, um das Geld zu beschaffen, aber ich fürchte, sie war ziemlich übelgelaunt und verzweifelt, als sie es endlich zusammenhatte. Doch dann hat sich der Händler geweigert, einer »Missgeburt« wie ihr das Heilmittel zu verkaufen. Gleich an dem hübschen schmiedegeeisten Tor seines Grundstücks hat er sie wieder weggeschickt. Aber wie du weißt, neigt Cirilla ein bisschen zur Sturheit. Noch in der Nacht kam sie wieder, ist über das Tor geklettert und hinauf in sein Schlafzimmer. Dort hat sie ihn mit seinem eigenen Gehstock erschlagen, zwei seiner Diener verprügelt und sich dann mit der Medizin davongemacht. Aber das Schicksal war ihr zuvorgekommen, und als sie zu Hause war, war der Junge bereits tot. Als die Palastwache sie an seinem Totenbett verhaftete, hat sie sich nicht mal gewehrt. Dreißig Jahre Kerker hat sie aufgebrummt bekommen für den Mord – genauso viele, wie das Gericht glaubte, dass der Tote noch zu leben gehabt hätte. Das erste Jahr davon haben wir gemeinsam verbracht in diesem Loch, sie und ich. Und Mungo, natürlich. Dann hat man sie für die Kartenexpedition verpflichtet, damit sie als billige Arbeitskraft einen Teil ihrer Strafe abarbeitet. Die Hälfte, falls ich mich recht an Fretters Worte entsinne. Bleiben also noch fünfzehn, wenn ich richtig gerechnet habe.«
»Sie wird nicht zurückkommen«, erwiderte Wex.
»Dann sind es nach wie vor dreißig.«
»Das ist ungerecht!«, rief Wex. Pinchs flapsige Erzählung hatte für ihn so geklungen, als ließe Cirillas Schicksal den Dieb genauso kalt wie das Gericht, das sie verurteilt hatte, und das machte Wex wütend. »Sie ist eine gute Frau, besser als die meisten, denen ich in meinem Leben begegnet bin!«
»Du bist wohl schon einer Menge Frauen begegnet, wie?«
Wex kochte. Er zog Kravens Oberkörper hoch und reichte Pinch die blutverschmierten Stofffetzen, damit er sie ihm wieder anlegte. »Hätte ich nicht gerade erst Kopf und Kragen riskiert, um dich zu retten, ich würde dich verfluchen für dein kaltes Herz.«
»Tatsächlich …«, sagte Pinch und zog den Verband so fest, dass Kraven laut stöhnte.
»Ich weiß, wer Vill ist«, murmelte der Magier.
Die Worte trafen Wex und Pinch wie ein Donnerschlag. Es waren die ersten, die dem
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