Die Karte der Welt (German Edition)
sein Zeichenbrett, darauf ein Bild der Zornberge mit den Gipfeln, die er dem Schleier entrissen hatte, über denen gerade die Sonne aufging. Brynn stand neben ihm. Noch im Morgengrauen war sie gekommen, sehr zu Elgers Erstaunen.
»Du hättest das Pferd nicht nehmen sollen«, sprach Wex schließlich weiter. »Dich hätte er vielleicht gar nicht so vermisst, aber sein Eigentum vermisst er.«
Brynn quittierte Wex’ Scherz mit einem Schulterzucken. »Ich hätte es ihm ja wiedergegeben, aber jetzt stehe ich in seiner Schuld, und er will die Verlobung nicht lösen.«
»Ich gebe dir das Geld, das ich für die Expeditionen bekomme«, sagte Wex unvermittelt. »Und Lothario sollte auch dir etwas zahlen, weil du unsere Übersetzerin warst. Mit den beiden Summen zusammen müsstest du die Sache regeln können.«
Brynn blinzelte. »Das würdest du tun?«
»Wenn du in einer Notlage bist, ja, natürlich. Mein Vater und ich haben eine Schweinezucht, und die einzigen Konkurrenten haben das Dorf heute früh aus irgendeinem Grund verlassen. Uns geht es gut.«
»Danke!«, rief Brynn und umarmte ihn.
»Und dann kannst du deinen Soldaten heiraten.«
Brynn blickte ihm fest in die Augen. »Gibt es irgendeinen Grund, warum ich es nicht tun sollte?«, fragte sie.
Es lag etwas Seltsames in ihrem Blick. Wex verstand nicht, was sie von ihm wollte. Er schüttelte den Kopf. »Nein.«
Sie schaute weg und trat nach einem Fichtenzapfen.
»Und viel Glück auch«, fügte Wex hinzu. Er senkte die Stimme und flüsterte verschwörerisch: »Vielleicht machen Adara und ich ja eine Doppelhochzeit daraus.« Wex dachte an den Anblick ihrer Lippen letzte Nacht und lächelte.
Brynn lächelte nicht, aber sie nickte. »Dann sieh zu, dass du mir das Geld bald gibst. Lothario will zum Palast von Skye aufbrechen, sobald die Soldaten von der Garnison in Furtheim hier sind.«
»Und der junge Winster wird ihn begleiten, nicht wahr?«
Brynn verstummte, und Wex legte den Zeichenkiel weg.
»Er ist es doch, den du willst, oder etwa nicht? Mein Freund, Spragg? Das hast du doch vor zwei Tagen noch gesagt.«
»Hauptmann Lothario hat das Vorrecht, um meine Hand anzuhalten«, erwiderte sie leise.
»Aus welchem Grund?« Wex sprang auf.
Brynn atmete tief durch. »Während unseres ersten Nachtlagers habe ich ihm erlaubt, mich zu küssen.«
»In der Nacht, in der du neben mir gelegen hast?« Wex spürte, wie sein Gesicht rot anlief. Hässliche Eifersucht stieg in ihm auf. Er wusste, er hatte kein Recht dazu, aber er konnte nichts dagegen tun. »Aber es war nur ein Kuss, oder?«, fragte er.
Brynn zögerte. »Wieso willst du das wissen? Adara verteilt Küsse, wie sie gerade Lust hat.«
»Nur ein Kuss? Nicht mehr?«
Brynn antwortete immer noch nicht. »Ich schulde dir keine Erklärung.«
»Du wirst bestimmt kein Geld von mir bekommen, damit du Lothario heiraten kannst! Von mir aus heirate diesen fetten alten Geizhals von Pferdehändler«, fluchte er. »Und herzlichen Glückwunsch meinerseits!«
Brynn drehte sich um, konnte sich aber eine letzte Erwiderung nicht verkneifen. »Adara wird nicht bei dir bleiben«, sagte sie über die Schulter und schritt dann den Hügel hinab.
66
Die Sonne ging gerade auf. Zwei Hoxxel-Söhne saßen mit verdrießlichen Mienen auf dem Kutschbock des alten Karrens, auf den sie alle Besitztümer geladen hatten, die sie transportieren konnten. Dunhard wimmerte leise, die fingerlose rechte Hand im dreckigen Hemd vergraben, während der Frühlingsregen auf ihre Kapuzenumhänge tröpfelte und der Ochse schnaufend die Erste Straße entlangstapfte.
Ein Stück die Straße hinauf stand Vill hinter einer Stechfichte verborgen, die Hand hoch erhoben zum Zeichen, dass seine Soldaten sich still verhalten sollten, was schwierig war bei der großen Anzahl.
Gehorsam gaben die Düsterlinge den Befehl flüsternd weiter. Die Stechfichten boten wenig Deckung, und auch das Unterholz war nicht dicht genug, um sie vollkommen zu verbergen.
»Sollen wir sie töten?«, fragte Schlitzer.
»Es regnet. Sie halten die Köpfe unten«, flüsterte Eber. »Vielleicht sehen sie uns nicht.«
Vill wartete ab. Wenn seine Soldaten jeden töteten, der auf der Straße unterwegs war, würden die Leute bald vermisst werden. Er konnte keine Suchtrupps gebrauchen, wenn er mit seiner Armee unbemerkt bleiben wollte.
Klappernd und quietschend kam das Fuhrwerk die Erste Straße entlang. Das Geräusch und die langsame Bewegung der Wagenräder erinnerten Vill an die alte Mühle
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