Die Karte der Welt (German Edition)
jedes von ihnen war genauso groß wie Wex’ Kopf.
Sein Instinkt sagte Wex, dass der Schatz irgendwo dort oben versteckt sein musste. Er wusste nicht genau, woher er dieses Gefühl nahm. Der Schatz könnte genauso gut in der Erde unter den riesigen Wurzeln vergraben sein. Vielleicht, dachte Wex, wusste er es ganz einfach deshalb, weil er den Baum gezeichnet hatte. Er fühlte eine Art Verbindung zu dem Gewächs, so wie mit dem Rest der Landschaft. Könnte er auch noch kontrollieren, was aus seinen Zeichnungen entstand, hätte er sich gefühlt wie der Schöpfergott selbst. Aber er konnte es nicht. Es war, als würde die Welt unter dem Schleier sich selbst aus seinem Blut erschaffen, als würde er mit seinem Zeichenkiel lediglich den Anstoß dazu geben.
Spragg starrte den gigantischen Baum an. »Was schlägst du vor, Wexford?«
Wex war begeistert. Endlich hatte einer der Soldaten ihn mit seinem Namen angesprochen, und nicht nur das, er hatte ihn sogar nach seiner Meinung gefragt!
»Klettern?«
»In Ordnung. Aber ich denke, es wäre am besten, wenn einer von uns unten bleibt und Wache steht.«
»Ich werde klettern. Fretter wollte, dass ich ausbade, was ich gezeichnet habe.«
»Einverstanden. Und ich werde nach Gefahren Ausschau halten und dich warnen, sobald ich welche sehe.«
Wex ging auf den Vierfachstamm zu und spuckte in die Hände. »Das ist der zweite Baum, auf den ich heute klettere. Ich hoffe, der Aufenthalt fällt diesmal etwas angenehmer aus als beim ersten.«
Spragg grinste. »Schlimmer kann es zumindest kaum werden.«
Wex schob die Finger in die tiefen Risse der dicken Rinde und zog sich nach oben.
Die Kletterpartie gestaltete sich äußerst angenehm und war genau das Gegenteil von der hastigen Flucht auf die Fichte, mit der er sich vor den grausigen Rindern in Sicherheit gebracht hatte. Die unteren Äste wuchsen in erstaunlich kleinen und regelmäßigen Abständen, was Wex das Gefühl gab, gemütlich eine Leiter hinaufzuklettern. Er war dankbar für die Ruhe und Entspannung. Seit er sich der Expedition angeschlossen hatte, war er nicht einen einzigen Augenblick allein gewesen; ein Zustand, den er seit dem Tod seiner Mutter nicht mehr gekannt hatte.
Seine Gedanken wanderten zu Adara. Streng genommen hatte er seit ihrem verführerischen Tanz kaum an etwas anderes gedacht. Immer noch hörte er den Rhythmus, den die Flussmenschen auf ihre Boote geklopft hatten, und die Bewegungen von Adaras wildem Hüftschwung tollten durch seine Fantasie wie junge, verspielte Kätzchen. Adara kannte kein Zögern, kein Vorausdenken und kein Planen. Sie fühlte einfach und handelte danach. Adara tanzte nicht nur, ihr ganzes Leben war wie ein einziger Tanz, und Wex sehnte sich so sehr nach ihr, dass ihre Abwesenheit ihm fast schon körperliche Schmerzen bereitete.
Er würde auch an Krysts nächster Expedition teilnehmen, um zu dem Fluss zurückkehren und das fahrende Volk erneut besuchen zu können. Das nächste Mal wird es bestimmt nicht mehr so gefährlich, sagte er sich. Sie würden mit mehr Soldaten reiten, und außerdem wussten sie jetzt, was sie erwartete. Nächstes Mal wären sie vorbereitet. Als Kartenzeichner hatte er nun sein eigenes Geld. Er könnte ein Geschenk für Adara kaufen und sie damit beeindrucken, Schmuck vielleicht oder ein schönes Kleid. Wenn er darüber nachdachte, schien sie ihm allerdings nicht der Mensch, der sich viel aus Kleidern machte. So richtig in ihrem Element war sie erst, wenn sie so gut wie nichts am Leib trug. Vielleicht sollte er sich eher darauf verlegen, ihren Vater zu beeindrucken. Aber Adara schien auch nicht der Mensch, der erpicht darauf war, die Wünsche des eigenen Vaters zu erfüllen. Sie war so ganz anders als die Mädchen in Zornfleck, anders sogar als Brynn. Vor allem als Brynn, trotz der Tatsache, dass sie beide Töchter von hochgestellten Persönlichkeiten waren. Wex merkte, dass er schlichtweg keine Ahnung hatte, wie er an sie herankommen sollte, und verfluchte sich dafür, dass er nicht mehr über die Sitten und Gebräuche des Flussvolks herausgefunden hatte.
Schließlich hatte er die Stelle erreicht, an der sich der Stamm zu der x-förmigen Krone auffächerte. Wex hatte gehofft, von hier oben etwas sehen zu können, aber das Blätterdach war weiterhin absolut undurchdringlich. Er konnte nicht einmal den Himmel darüber erkennen.
In der Hoffnung, irgendwo weiter weg vom Stamm eine Öffnung zwischen den Blättern zu finden, von wo aus er seinen Freunden ein
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