Die Karte Des Himmels
Angst. Ich suche dich. Ich suche immer nach dir.« Ihre Mutter würde sie suchen, und sie würde sie finden. Und bis es so weit war, würde das Mädchen – inzwischen konnte sie es genau sehen – ihr helfen. Den ganzen Tag lang wanderten sie gemeinsam umher, das Mädchen zeigte Summer, wo die Brombeeren wuchsen und wo das klare Wasser floss. Sie spielten zusammen, Verstecken und Fangen, und einmal bauten sie einen Damm in einem seichten sprudelnden Fluss. Es gab auch Momente, in denen Summer bewusst wurde, dass sie sich immer noch verirrt hatte, und dann geriet sie in Panik und weinte, aber das Mädchen machte besänftigende Geräusche und tollte herum und versuchte, sie aufzuheitern. Als der zweite Abend anbrach, sank sie erschöpft auf ein Moosbett, und das Mädchen bedeckte sie mit trockenen Blättern.
Am Montagmorgen – nicht dass sie wusste, dass Montag war – erwachte sie vom Geräusch eines vorbeifahrenden Wagens. Summer setzte sich auf und schaute sich um und stellte fest, dass sie in der Nähe einer Straße gelegen hatte. Von dem anderen Mädchen war weit und breit keine Spur. Als sie aufstand, erkannte sie, wo sie sich befand. Ein kleines Stück weiter die Straße entlang standen auf der anderen Seite die Wohnwagen der Zigeuner. Sie konnte Liza erkennen, die auf den Stufen ihres Wohnwagens saß, Zeitung las und einen Toast aß. Plötzlich fehlte Summer der Mut, und sie wusste nicht, was sie tun sollte – Erleichterung und Angst durchfluteten sie gleichermaßen. Sie setzte sich ins Gras und weinte.
Das Geräusch eines weiteren Wagens dröhnte herauf, Musik schepperte. Der Wagen fuhr langsamer, die Musik brach ab und eine Männerstimme rief: »Hallo, du da! Geht es dir gut?« Summer schaute verwirrt auf und sah einen schicken Sportwagen in ihrem Lieblingsblau. Das Verdeck war heruntergeklappt. Auf dem Rücksitz stand ein kleiner Hund mit undefinierbarem Stammbaum und wedelte mit dem Schwanz. Schon immer hatte sie sich einen kleinen Hund gewünscht. Der Fahrer hatte lockige blonde Haare wie sie und trug eine Sonnenbrille. Als er sie abnahm, konnte sie sein Gesicht sehen, die Stupsnase und wie er lächelte. Sie mochte ihn auf Anhieb, erinnerte sich aber daran, dass ihre Mutter sie ermahnt hatte, nicht zu anderen Leuten ins Auto zu steigen, auch dann nicht, wenn sie sie kannte. Nur fragte dieser Mann gar nicht, ob sie einsteigen wolle. Stattdessen sagte er: »Tut mir leid, dass du traurig bist. Wohnst du da drüben?« Er deutete in Richtung der Wohnwagen. Summer schüttelte den Kopf. »Ich will zu meiner Mummy«, flüsterte sie.
Der Mann dachte kurz nach. »Hör zu«, sagte er dann, »kannst du bitte genau da bleiben, wo du jetzt bist, neben meinem Auto, und auf es aufpassen? Ich würde die Lady da drüben gern um Hilfe bitten.«
Summer nickte. Der Mann schaute, ob die Straße frei war, und stieg dann aus, der kleine Hund sprang nach ihm heraus. Dann überquerte der Mann die Straße und lief zu den Wohnwagen hinüber. Summer beobachtete, wie er mit Liza sprach. Anschließend eilten beide auf sie zu.
Und Liza schloss sie in die Arme und nannte sie Schätzchen, und Summer wusste, dass sie in Sicherheit war.
33. Kapitel
Niemals würde Jude diese erste Welle der Erleichterung vergessen, die sie durchflutete, als die Polizistin sagte: »Man hat sie gefunden. Es geht ihr gut.« Als die Anspannung nachließ, war es, als würde ihr Körper sich mit sprudelndem Champagner füllen. Es gab nichts mehr im Leben, worüber sie sich zu sorgen brauchte, nie wieder. Sie und Claire klammerten sich aneinander, Claire lachte und weinte abwechselnd. An das Allerschlimmste hatten sie gedacht, und das Allerschlimmste war an ihnen vorübergegangen. Dann ebbte die Euphorie ab, und Fragen tauchten auf. Wann konnten sie Summer sehen? Wo war sie in den letzten beiden Nächten gewesen? Ging es ihr wirklich gut?
»Sie haben sie ins Krankenhaus gebracht, damit sie durchgecheckt wird. Wir sollen sie da abholen. Komm.«
Als Claire und Jude in dem großen Krankenhaus in der Nähe von Great Yarmouth eintrafen, wurden sie in ein kleines weiß gestrichenes Büro geführt, wo Summer neben einer Krankenschwester saß, die sie mit allerlei grellfarbigem Spielzeug zu unterhalten versuchte. Sie rannte sofort auf ihre Mutter zu, die beiden schlossen sich in die Arme, und Claire fing wieder an zu weinen.
»Es geht mir gut, Mummy, reg dich nicht auf«, sagte Summer, und es war Claire, die getröstet werden musste.
Draußen auf dem Flur
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