Die Karten des Boesen
werden wir ihn nicht in einer dieser verrückten Tarot-Welten finden, in der es von ›scharfen Schwertern‹, ›Skeletten mit Sensen‹ und ›Wiedergeburten‹ nur so zu wimmeln scheint! Die arme Frau kann doch an gar nichts anderes mehr denken, sie lebt umgeben von bedrohlichen Symbolen, die ihr jetzt auch noch den Tod verkünden!«
»Womit du nicht ganz unrecht hast, Zweiter«, pflichtete Bob bei. »Aber warte mal ab, was ich Wissenswertes über das Legen von Tarotkarten herausgefunden habe. Dann wirst du deine Meinung vielleicht noch ändern.«
»Aber auch nur vielleicht«, entgegnete Peter kratzbürstig. »Lass mal hören.«
Der dritte Detektiv schenkte sich ein zweites Glas Limonade ein. »Der Begriff ›Tarot‹ bezeichnet ein Päckchen von 78 Karten, die in bestimmte Stationen und Motive gegliedert sind. In manchen Artikeln ist von ›der Tarot‹ die Rede, in anderen wiederum wird von ›das Tarot‹ gesprochen. Es ist damit jedoch immer die gleiche Sache gemeint.«
»Bis hierhin klar«, stichelte Peter. »Weiter!«
Bob ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Die ersten Tarotkarten entstanden in der Renaissance. Sie wurden in der Zeit zwischen 1430 und 1460 in Norditalien für große Fürstenhäuser gemalt. Die 78 Karten versammeln eine Fülle von typischen Motiven, Charakteren und Lebensstationen und beziehen sich dabei auf verschiedene Epochen der Kulturgeschichte, von der Renaissance zurück ins Mittelalter bis zur griechisch-römischen Antike und sogar in die Zeit der frühen Ägypter.«
»Jetzt auch noch Geschichtsunterricht!«, nörgelte Peter. »Gibt es keine aktuelleren Erkenntnisse über die Karten?«
»Interessante Frage, Zweiter«, fuhr Bob in seinem Bericht fort. »Denn noch heute legen sich Millionen Menschen in Amerika und Europa das Tarot. Es unterscheidet sich aber erheblich von der altbekannten Wahrsagerei und Orakeltechnik. Tarot ist vielmehr die ›Magie des Augenblicks‹. Es lebt von der Begegnung mit dem Zufall, und insofern spielt die augenblickliche Situation, in der sich diese Zufälle ergeben, eine große Rolle.«
»Ich verstehe nur Bratkartoffeln mit Spiegelei«, unterbrach Peter erneut den Vortrag. »Was hat der Zufall bitte schön mit Magie zu tun?«
»Die Sache ist eigentlich ganz einfach«, versuchte Bob sich verständlich zu machen. »Mit der ›Magie des Augenblicks‹ sind die Gedanken und Einfälle gemeint, die das Bild beim Betrachter auslösen, nachdem es beim Kartenlegen durch Zufall gezogen wurde.«
»Vorbildlich erklärt!«, lobte Justus. »Auch in der Wissenschaft und Kunst wird seit Anfang dieses Jahrhunderts mit dem Zufall gearbeitet, mit dem also, was zufällig und unbeabsichtigt entsteht. Wenn man beispielsweise auf ein Blatt Papier einen Tintenklecks spritzt, dieses Papier faltet und anschließend wieder öffnet, ist die vorhandene Tintenklecksfigur nur durch einen Zufall entstanden. Jeder Betrachter wird in dem Gebilde etwas anderes sehen. Oder denkt an das Bleigießen.«
»Ganz genau«, bestätigte Bob. »Und genauso verhält es sich beim Deuten der Tarotkarten. Die Symbole haben nur die Aufgabe, den Betrachter die gestellte Frage unter neuen Gesichtspunkten interpretieren zu lassen. Das bedeutet, ich stelle mir eine Frage, dann ziehe ich eine Karte und versuche aus dem Bild meine Antwort herauszulesen. Mit den Karten erhalte ich Erklärungen für etwas, das mich vielleicht schon mehrmals beschäftigt hat oder was ich gerade für mich zu klären versuche. Die Karten sagen einem nichts, was man nicht schon längst in seinem Inneren gefühlt oder gewusst hat. Sich dessen bewusst werden, was schon lange in einem schlummert, darin liegt die Kraft der Tarotsymbole.«
Peter hatte Bobs Ausführungen interessiert gelauscht. »Das alles hört sich ziemlich verworren an. Genauso gut könnte ich mir jetzt die Frage stellen: ›Will ich diesen Fall wirklich bearbeiten?‹ Ich ziehe eine Karte – es ist der Fährmann. Das sagt mir dann, dass ich die Zentrale schleunigst verlassen sollte. Und wie erklärt ihr euch Mrs Summers innere Überzeugung, dass ihre Lebensuhr demnächst ablaufen wird, und die Tatsache, dass die Bedeutung der Symbole ihr jedes Mal recht zu geben scheinen?«
»Ich kann mir darauf keinen Reim machen«, sagte Bob und zuckte mit den Schultern.
»Und noch eine andere Ungereimtheit spukt mir seit gestern im Kopf herum«, gab der Erste Detektiv der Diskussion eine neue Richtung. »Wie kann es angehen, dass Milva Summer behauptet, seit
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