Die Kastratin
Er gönnte den Mönchen jedoch nicht einmal genug Zeit, zum Essen ins Kloster zurückzukehren, und er ließ auch Giulia nicht nach Hause gehen, wo Assumpta schon etwas Bekömmliches vorbereitet hatte. Stattdessen schickte er zwei junge Burschen zur nächsten Garküche, das Essen von dort zu holen. Die Mönche waren zufrieden mit dem, was sie bekamen. Giulia kaute jedoch mühsam auf dem fettigen Zeug herum, das ihr danach wie ein Stein im Magen lag. Als Meister Pierluigi kurz vor Sonnenuntergang mit einem kurzen Handzeichen das Ende der Proben bekannt gab, war sie am Ende ihrer Kraft. »Ihr werdet morgen zur selben Stunde hier sein«, verabschiedete Palestrina die Mönche und wandte sich an Giulia. »Und du, Casamonte, wirst ab heute keinen Wein mehr trinken, bis die Uraufführung vorbei ist, verstanden?«
Das Versprechen konnte ihm Giulia unbesorgt geben. Ihr war immer noch übel von dem gestrigen Tag und dem Mittagessen aus der Garküche.
XI .
G irolamo Casamonte ahnte nichts von den Seelenqualen seiner Tochter. Er hatte sie bereits mehrere Tage nicht mehr gesehen und auch nicht besonders vermisst. Eigentlich war es für ihn sogar besser, ihr nicht jeden Morgen begegnen und alle die unausgesprochenen Vorwürfe in ihren Augen lesen zu müssen. Manchmal fühlte er Gewissensbisse, weil er sie gezwungen hatte, sich als Kastrat auszugeben. Auch für ihn war das nicht ungefährlich gewesen, denn eine Entdeckung war gleichbedeutend mit einem Verhör durch die Inquisition und einem qualvollen Ende auf dem Blutgerüst oder dem Scheiterhaufen. Die Gefahr hatte er Giulia oft vor Augen geführt, ohne sie selbst jedoch so ernst zu nehmen, wie es wohl notwendig gewesen wäre. Als die Kurtisanen in Donatella Rivaccios Haus an diesem Morgen von nichts anderem als der Ketzerverbrennung sprachen, wurde ihm flau zumute, und er wünschte, er könnte das Rad der Zeit um etliche Jahre zurückdrehen.
Seine Schweigsamkeit fiel den Mädchen nicht auf, denn vor kurzem waren neue, wohlhabende Pilger in Rom eingetroffen, die sich für ihre Dienste interessierten. Violetta bekam immer noch Besuch von dem deutschen Grafen, nahm aber das Angebot eines reichen Kaufherrn aus Siena an, ihn zu begleiten und ihm den Tag zu versüßen. Bianca entschwand mit einem adligen Priester, und auch die übrigen Mädchen fanden eines nach dem anderen spendable Freunde, mit denen sie durch die Stadt zogen. So blieb Casamonte mit der Hausherrin allein zurück. Sie aßen gerade ausgiebig zu Mittag, als ein forderndes Klopfen an der Tür die Idylle jäh unterbrach. Signora Rivaccio schob seufzend den Teller weg und wartete, dass ihr der Türsteher den Besucher meldete.
Ruvenzo kehrte mit erschrockenem Gesicht zurück. »Herrin, der Mann von der Behörde ist schon wieder da.«
Signora Rivaccio warf unwillig den Kopf hoch. »Was kann der wollen? Ich habe meine Steuern bezahlt. Na gut, führ ihn herein.« Seufzend wandte sie sich an Giulias Vater. »Lasst mich bitte allein.«
»Ungern, aber wenn es sein muss«, gab Casamonte gut gelaunt zurück.
Ein Blick in das angespannte Gesicht seiner Gastgeberin machte ihn misstrauisch. Er verließ den Raum durch die Seitentür, die er leise hinter sich schloss. Nach kurzem Zögern trat er wieder an das Holz und legte sein Ohr daran. Der höfliche Gruß des Besuchers ließ nichts Ungewöhnliches erwarten. Dennoch klang Donatella Rivaccios Stimme schrill und wie gehetzt. »Seid mir willkommen, Messer Matoni.«
Der Name deutete nicht auf einen Mann von Adel, fand Casa-monte und spitzte seine Ohren. »Ich komme im Auftrag der Behörden Seiner Heiligkeit, um Euch über einige neue Verordnungen zu informieren, die vor kurzem erlassen wurden«, begann Matoni in belehrendem Ton.
»Ich kenne die letzten Erlasse und wüsste nicht, was sie mit mir zu tun hätten.«
Matoni lachte meckernd. »Dann wisst Ihr auch, dass eine Frau nur mehr in Ausnahmefällen ein Gewerbe betreiben darf. Dies ist zum Schutz ihrer Tugend unabdingbar.«
»Das habt Ihr mir schon bei Eurem letzten Besuch gesagt und für mich eine Ausnahmeregelung getroffen, die Ihr Euch gut habt bezahlen lassen.«
»Nur schweren Herzens habe ich Eurem Wunsch entsprochen«, erklärte Matoni salbungsvoll. »Ich wollte damit die Rolle anerkennen, die Ihr und Eure Mädchen in Rom spielen. Es ist gut, wenn der Pilger weiß, wohin er seinen Fuß setzen muss, um den Drang seiner Lenden entleeren zu können. Er würde sonst womöglich ehrenhafte Jungfern oder Ehefrauen
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