Die Kastratin
heran, die neben dem wackligen Tisch, den beiden Strohsäcken und ihrer Reisekiste das gesamte Mobiliar der Stube darstellten und nahm den Deckel von der Schüssel, in der sich ihr Mittagessen befand.
Gerade, als sie in dem fetten Fleisch herumstocherte, das man hier anscheinend als genießbar ansah, sprang die Tür auf und Vincenzo stürmte herein. Sein Gesicht war dunkel vor Zorn, und er knirschte mit den Zähnen, während seine Rechte den Knauf des Degens knetete.
Giulia sah erschrocken auf. »Ist etwas Schlimmes passiert?«
Es dauerte noch einige Augenblicke, bis Vincenzo sich so weit gefasst hatte, dass er ihr antworten konnte. »Ich habe diesen Falkenstein eben wegen dieser Schweineställe von Zimmern hier angesprochen und bessere Unterkünfte verlangt. Weißt du, was dieser Kerl mir geantwortet hat?«
Er gab der morschen Tür einen Tritt, der sie beinahe aus den Angeln hob. »Er sagte, wir sollten froh sein, überhaupt ein Dach über dem Kopf zu haben. Schließlich hätte man uns nicht gerufen.«
»Das war mehr als unhöflich.«
Vincenzo starrte düster zu Boden. »Das ist noch nicht alles. Ich wollte den Mann für diese Unverschämtheit natürlich zur Rechenschaft ziehen.«
Giulia erschrak. »Du hast ihn zum Zweikampf gefordert?«
»Nicht sofort, aber als er einige weitere beleidigende Äußerungen fallen ließ, blieb mir keine andere Wahl.«
»Und wann wirst du dich mit ihm schlagen?«
Vincenzos böses Lachen fuhr Giulia wie eine Raspel über die Nerven. »Der Kerl ist zu feige, sich mir zu stellen. Er sagte, als Bärenführer einer Jahrmarktskreatur wäre ich nicht satisfaktionsfähig. Und das mir, Vincenzo de la Torre, dessen Ahnen bereits im Dienste der Kaiser standen, als die Vorfahren dieses Falkenstein noch Schweinehirten waren.«
»Jahrmarktskreatur?« Giulia sah ihn fassungslos an.
Vincenzo nickte. »Genau das hat er gesagt. Und er hat mir noch andere Beleidigungen an den Kopf geworfen. Dafür werde ich mich rächen, das schwöre ich dir bei allem, was mir heilig ist.«
Giulia ließ den Kopf hängen. »Unsere Reise steht unter keinem guten Stern. Beppo ist krank, und wir werden angefeindet und beleidigt. Dabei haben wir diesen Leuten doch gar nichts getan.«
»Da du gerade Beppo erwähnst: Sollten Assumpta und ich nicht die Zimmer tauschen? Dann könnte sie sich besser um ihren Mann kümmern. Ich bin bei Gott kein guter Krankenwärter und weiß nicht, was ich tun soll, wenn der gute Alte vor Husten fast erstickt.«
Vincenzos Vorschlag war aus seiner Sicht die einzig vernünftige Lösung. Aber in der engen Kammer wäre es Giulia unmöglich gewesen, ihr wahres Geschlecht vor ihm zu verbergen. Dazu kam, dass sie sich ihrer selbst nicht sicher war. In letzter Zeit träumte sie immer häufiger von ihm und musste auch am Tag oft das Verlangen niederkämpfen, ihm um den Hals zu fallen und ihm die Wahrheit zu sagen. Selbst wenn Vincenzo so treu und zuverlässig war, wie sie annahm, war jetzt weder die Zeit noch der Ort für ein Geständnis. Draußen schlichen einfach zu viele Leute herum, und ein unbedachtes Wort oder ein allzu eindeutiges Geräusch konnte alles verraten.
Verzweifelt überlegte sie, wie sie ihre Ablehnung formulieren konnte, ohne seinen Argwohn zu erregen. Aber sie fand nicht die richtigen Worte. »Es tut mir Leid, Vincenzo. Es geht nicht«, konnte sie nur sagen.Vincenzo ballte die Fäuste. »Verdammt, Giulio, zier dich nicht wie ein Mädchen. Kannst du keinen Mann mehr ansehen, nur weil du selbst keiner mehr bist? Nimm dich doch zusammen. Es ist schließlich nur zu Beppos Besten.«
»Nein.« Giulia schämte sich ihrer Ablehnung, doch sie hatte keine andere Wahl.
Vincenzos Gesicht verfärbte sich erneut vor Ärger. »Du bist der egoistischste Bursche, der mir je untergekommen ist. Also gut, ich werde auch ein anderes Bett finden als die Strohschütte Wand an Wand mit der deinen. Ich muss ja nicht in der Hofburg wohnen, und draußen gibt es genug Frauen und Mädchen, die mir etwas Besseres zu bieten haben als dieses Loch hier.« Er drehte sich auf dem Absatz um und verließ das Zimmer, ohne die Tür zu schließen.
Giulia weinte ihre Tränen wie immer in sich hinein und ärgerte sich über den Schmerz, der in ihr brannte. Sie hatte Vincenzo nicht wehtun wollen. Gleichzeitig hasste sie schon jetzt jene unbekannte Schöne, in deren Armen er seine Nächte verbringen würde.
II .
A m Abend fand Giulia keine Gelegenheit, der Kaiserin ihre Bitte vorzutragen. Maria von Spanien
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