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Die Kastratin

Die Kastratin

Titel: Die Kastratin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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kniete im Gebet versunken in ihrer kleinen Privatkapelle und sah nicht einmal auf, als Giulia eintrat. Eine Kammerfrau in strenger, spanischer Hofkleidung und einer weißen Halskrause führte Giulia wortlos in eine düstere Ecke und reichte ihr ein in Gold und Leder gebundenes Gebetbuch, in dem die Lieder angemerkt waren, welche die Kaiserin an diesem Abend zu hören wünschte.
    Giulia versuchte, ihre persönlichen Schwierigkeiten zu vergessen und ihr Bestes zu geben. Sie wusste jedoch am Ende der Andacht nicht, wie gut sie gesungen hatte. Die Kaiserin saß noch immer in ihrem Gebetsstuhl, die Stirn auf die gefalteten Hände gelegt, und murmelte Gebete, obwohl Luis de Vega, ihr spanischer Priester, längst das letzte Amen gesprochen hatte. Giulia trat ins Licht und hoffte, dass die hohe Frau aufschauen und sie ansprechen würde. Die Kammerfrau kam jedoch auf sie zu, packte sie am Ärmel und führte sie hinaus. »Ver-zeihung, ich hätte gerne mit Ihrer Majestät gesprochen«, bat Giulia leise.
    Die Kammerfrau schüttelte den Kopf. »Hoheit wünschen heute mit keinem Menschen mehr zu sprechen.«
    »Vielleicht könnt Ihr mir helfen. Ich brauche dringend ein anderes Quartier. In feuchten und kalten Gemächern, wie man sie uns zugewiesen hat, wird meine Stimme leiden. Zudem ist mein Diener erkrankt und wird dort nicht gesund werden.«
    »Da kann ich Euch nicht helfen. Wendet Euch an den Herrn von Falkenstein, der für die Unterbringung der Gäste am Hof verantwortlich ist.«
    Giulia hätte ihr am liebsten ins Gesicht geschrieen, dass es dieser Falkenstein war, dem sie das feuchte Loch zu verdanken hatte. Doch die Kammerfrau ließ sie einfach stehen und kehrte in das Gemach der Kaiserin zurück. Giulia sah noch, wie sie drei Schritte hinter ihrer Herrin niederkniete und zu beten begann, dann schloss ein Diener die Tür und stellte sich beinahe drohend davor. Giulia begriff, dass sie für diesen Abend entlassen war, und ärgerte sich nicht nur über die abweisende Haltung der Kammerfrau. Sie kam sich vor wie ein Möbelstück, das man verwendet und wieder in die Ecke geschoben hatte. Selbst einem Tier klopfte der Besitzer nach einem anstrengenden Dienst kurz auf das Fell, um es zu loben. Hier aber waren ihre Dienste mit keinem einzigen Wort gewürdigt worden. Dabei zählte der Beifall für einen Künstler mindestens ebenso viel wie klingende Münze.
    Mit trüben Gedanken kehrte sie in ihre Kammer zurück, wo Assumpta sich gerade vergebens bemühte, sie wohnlicher erscheinen zu lassen. Als Giulia eintrat, hob die alte Dienerin den Kopf. »Vincenzo hat ausrichten lassen, dass er diese Nacht nicht mehr zurückkommen wird, und ist dann weggegangen.«
    Giulia spürte einen Stich in ihrem Herzen. Dennoch zwang sie sich zu einem Lächeln, denn sie wollte Assumpta, die an der Krankheit ihres Mannes bereits schwer genug zu tragen hatte, nicht noch ihr eigenes Leid aufhalsen. »Vincenzo hat das aus Rücksicht getan. Er möchte, dass du dich in der Nacht um Beppo kümmerst, und ich konnte ihn ja schlecht in meiner Kammer schlafen lassen.«
    Assumpta schnaubte. »Das wäre wirklich sehr ungehörig gewesen. Nicht, dass ich dich für leichtfertig halte. Aber Vincenzo ist nun einmal ein gut aussehender Mann, und du …« Sie schlug sich erschrocken auf den Mund und starrte die Wand an, hinter der sich Schritte näherten. Als sie verklangen, näherte sie ihren Mund Giulias Ohr. »Verzeih mir dummem altem Weib. Bei-nahe hätte ich dich verraten. Vorhin habe ich verdächtige Geräusche gehört, so als wenn jemand versucht hätte, uns zu be-lauschen. Oh Kind, in welches Natternnest hat dich der Heilige Vater nur geschickt?«
    Giulia erschrak. Wenn Assumptas Verdacht stimmte, war sie hier wirklich in höchster Gefahr. Sie fragte sich, warum man sie wie Aussätzige behandelte und womöglich auch bespitzelte, konnte sich aber keinen Reim darauf machen. Es gab doch kaum etwas Harmloseres auf der Welt als einen Kastratensänger, der die Menschen mit seinen Liedern erfreute. »Wir müssen hier noch vorsichtiger sein als sonst«, raunte sie Assumpta zu. »Ich muss sagen, ich werde froh sein, wenn wir diesen Ort hier verlassen können.«
    Assumpta nickte seufzend. »Und ich erst. Das ist kein Land für unsereinen. Je eher die Sonne Italiens wieder auf uns scheint, umso besser ist es für uns.«
    Giulia wandte lauschend den Kopf und hob dann ihre Stimme wieder »Geh jetzt zu Beppo. Sollte Vincenzo in der Nacht zurückkommen, kann er das andere Bett in

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