Die Kastratin
lumpiger Lakai geworden. Dabei hätte ich in Rom und Padua studieren und später der neue Kapellmeister des Grafen werden sollen. Das hat mir dieses Teufelsliebchen von einer Giulia Fassi angetan. Sie hingegen ist reich und berühmt und wird selbst am Hofe des Heiligen Vaters empfangen. Das ist eine Schande, die zum Himmel stinkt. Wie viel Übles soll diese Hexe denn noch anrichten können?«
»Wenn das stimmt, ist deine Empörung verständlich«, stimmte ihm della Rocca freundlich zu. »Allerdings wirst du verstehen, dass niemandem, weder dem Heiligen Vater noch mir, daran gelegen sein kann, diese Sache vor allem Volk auszubreiten. Irrst du dich, und Casamonte ist tatsächlich der Kastrat, der zu sein er vorgibt, wäre ich der Blamierte und würde vor dem Papst mein Gesicht verlieren.«
»Casamonte ist kein Kastrat, sondern ein Weibsdämon, der auf den Scheiterhaufen gehört«, rief Ludovico beschwörend.
»Das sagst du. Doch in deiner Stimme schwingt ein starker Wunsch nach Rache. Ich darf nicht auf das Wort eines vor Zorn verblendeten Menschen hin handeln, sondern brauche handfeste Beweise.« Della Rocca ließ keinen Zweifel daran, dass er diese delikate Sache so unauffällig wie möglich behandeln wollte. Er musterte Ludovicos verzerrtes Gesicht und beschloss, ihn zu seiner eigenen Sicherheit bei sich zu behalten. Es durfte kein Gerede entstehen, sonst würden seine Gegner die Situation ausnutzen und ihn kaltstellen lassen. »Gut, ich will dir glauben, und du sollst mir helfen, diese Hexe zu überführen. Du wirst heute noch den Dienst beim Comte Corrabialli aufgeben und in meinen treten. Aber wehe dir, wenn du mich belogen hast. Stellt sich heraus, dass Giulio Casamonte ein echter Kastrat ist, wirst du meinen Zorn zu spüren bekommen.«
Die Worte sprachen dem sanften Tonfall und der milden Miene des Bischofs Hohn, und Ludovico begriff, dass sie ernst gemeint waren. Da er sich seiner Sache vollkommen sicher war, machte er sich jedoch keine Sorgen, sondern stand auf, verbeugte sich und legte die rechte Hand auf sein Herz. »Ich bin Euer ergebener Diener, Eminenz.«
IV .
V incenzo fühlte sich an die frühen Tage seiner Wanderschaft erinnert. Nur machte es ihm jetzt weitaus weniger Spaß, ohne Geld in der Tasche zu Fuß seiner Wege zu ziehen. Wenn er, was oft genug geschah, auf einem Meilenstein saß und seine Stiefel auszog, um die wundgelaufenen Füße zu kühlen, sehnte er sich nach einer bequemen Kutsche oder zumindest einem Pferd. Auch sagten ihm die billigen Garküchen bei weitem nicht mehr so zu wie früher. Die Jahre mit Giulio Casamonte hatten ihn ganz offensichtlich verweichlicht und verwöhnt.
Er versuchte, die Situation als Buße anzusehen, und trat in den ersten Tagen seiner Reise in jede Kirche, an der er vorbeikam, um Gott dafür zu danken, dass er ihn vor der Sünde der Sodomie bewahrt hatte. Leider zwang ihn diese Sicht auch, die Seelenstärke des Kastraten zu bewundern. Denn es hatte nicht an ihm, sondern an Giulio gelegen, dass es nicht dazu gekommen war. Wenn er jedoch in den Nächten auf einem Heuhaufen lag und die Sterne über sich betrachtete, träumte er davon, dass seine Hand über Giulios Hüften glitt und er ihn an sich zog.
Diese Vorstellung wurde so quälend, dass sie Vincenzo sogar am hellen Tag verfolgte. Schließlich wusste er sich keinen anderen Rat mehr, als sein Leben völlig zu ändern. Er beschloss, nach Hause zurückzukehren und die erstbeste Erbin zu heiraten, die sein Bruder Andrea ihm nennen würde, und mit ihr Kinder in die Welt zu setzen, so wie es Gottes Wille war. Dieser Vorsatz hielt so lange an, bis er von einem Hügel aus seine Heimatstadt Torre de’ Busi vor sich liegen sah. Nun graute ihm allein schon bei dem Gedanken, vor seinen Bruder treten und sich dessen Vorträge über einen der Familie de la Torre gemäßen Lebensstil anhören zu müssen. Eine Meile vor dem Ort drehte er wieder um und wanderte den ganzen Weg bis Verona zurück. Er wusste nicht, wie Casamonte ihn empfangen würde, doch er wollte ihm wenigstens nahe sein. Als er jedoch den Küster von San Lassaro nach Giulio fragte, hob dieser nur bedauernd die Arme. »Messer Casamonte ist leider nicht zu uns gekommen. Wie es heißt, hat er ein anderes Engagement angenommen. Wo, weiß ich leider nicht.«
Vincenzo fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen. Es gab nur einen Grund, weshalb Giulio Verona gemieden hatte: Er wollte ihn nicht mehr wiedersehen. Verzweifelt schlug Vincenzo die Hände vors
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