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Die Kastratin

Die Kastratin

Titel: Die Kastratin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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andererseits auch dankbar dafür, denn sie lenkte sie zumindest tagsüber von ihrem eigenen Kummer ab. In den Nächten aber wurde es umso schlimmer. Immer wieder musste sie an Vincenzo denken, und sie verfluchte sich, weil sie kein Vertrauen zu ihm gehabt hatte. Oft wachte sie morgens auf und sah noch die Bilder ihrer Albträume vor sich, durch die Vincenzo in allerlei unglücklichen Situationen geisterte. Oft sah sie ihn sterbend oder als Toten vor sich, und wenn sie dann aufwachte, musste sie gegen die Tränen ankämpfen.
    Jetzt, wo sie Vincenzo endgültig verloren zu haben glaubte, begriff sie erst, wie sehr sie ihn liebte. Doch sie hatte ein falsches Spiel mit ihm getrieben und ihn mit beleidigenden Worten von sich gewiesen. Manchmal fragte sie sich, wo er jetzt wohl sein mochte. In den ersten Wochen auf Castello Biancavallo hatte sie noch gehofft, dass er ihr folgen würde. Mittlerweile aber war sie überzeugt davon, dass er nichts mehr von ihr wissen wollte, und konnte es sogar verstehen. Sie hatte ihn allzu sehr verletzt und von sich gestoßen. Dieser Gedanke fraß sich wie Säure in sie hinein, und sie konnte ihn nur dadurch bekämpfen, indem sie all ihre Kraft für die junge Gräfin einsetzte.
    Zur großen Freude ihres Schwiegervaters überstand Norina die kritische Zeit. Giulia durfte jedoch kaum mehr von ihrer Seite weichen und musste zuletzt im Schlafzimmer der Gräfin auf einem Feldbett schlafen, das die Mamsell für sie aufschlagen ließ. Der Prediger machte seinem Herrn zwar Vorhaltungen deswegen, da Casamonte ja als Mann geboren worden sei und es daher Sünde wäre, im selben Raum wie eine verheiratete Frau zu nächtigen. Als er jedoch merkte, dass er mit dieser Kritik seine angenehme Pfründe riskierte, zog er sich mit tausend Entschuldigungen zurück und bestand nur darauf, dass die Zofe oder die Mamsell anwesend sein mussten, wenn Giulia im Zimmer der Gräfin weilte.
    Es war für Giulia in diesen Tagen nicht leicht, ihr wahres Geschlecht vor den anderen Frauen zu verbergen, auch wenn diese sehr viel Rücksicht auf die Launen und Eigenarten eines Kastraten nahmen. Ohne die treue Unterstützung Assumptas wäre ihr Geheimnis trotzdem aufgedeckt worden. So atmete sie auf, als die schwere Stunde der Gräfin sich näherte und sie etwas in den Hintergrund treten konnte.
    Die Hebamme des Dorfes wurde geholt und ergriff rasch das Regiment. Zuerst wollte sie Giulia aus dem Raum scheuchen, doch die Schwangere bestand auf ihrer Anwesenheit und wollte sogar dann noch Giulias Stimme hören, als sie sich bereits in den ersten Wehen wand.
    Auf dem Land aufgewachsen, hatte Giulia bereits als Kind gesehen, wie Welpen und Kälbchen geboren wurden, und sie hatte auch die Geburt ihres jüngsten Bruders erlebt. Doch weder die Tiermütter noch ihre eigene, kränkliche Mutter hatten sich so wild gebärdet wie die Gräfin. Obwohl das Kreischen und Schreien Norina Biancavallos an ihren Nerven zerrte, sang Giulia ohne Pause. Sie versuchte, das Geschehen um sich zu vergessen und sich ganz auf ihre Lieder zu konzentrieren. Die Zeit verging jedoch, ohne dass das Kind kam. Die Hebamme war bereits am Verzweifeln, und das Schreien der Wöchnerin war längst einem erschöpften Wimmern gewichen.
    Giulia sang nach der Missa San Ippolito auch die vollständige Missa Papae Marcelli. Ihre Kehle war heiser und ihr Kopf wie leer gesaugt. Sie glaubte schon, keinen Ton mehr über die Lippen bringen zu können, als ein letzter, gellender Schrei durch die Burg hallte. Sekunden später hielt die Hebamme das Kind in den Händen. Sofort sah sie nach seinem Geschlecht, denn je nach dem, ob es ein Mädchen oder ein Knabe war, würde ihr Lohn normal oder großzügig ausfallen.
    Erleichtert warf sie den Kopf zurück. »Es ist ein Knabe!« Freudestrahlend präsentierte sie ihn der halb bewusstlosen Gräfin. »Preiset den Herrn! Er hat Euch einen Sohn geschenkt.«
    Norina Biancavallo nickte kraftlos und schloss sofort wieder die Augen. Während die Hebamme das Kind versorgte, eilte die Mamsell hinaus, um dem alten Grafen Bescheid zu geben. Kurze Zeit später kam dieser herein und sah zufrieden auf das kleine Bündel Mensch mit seinem hochroten, verknitterten Gesicht.
    Er würdigte seine Schwiegertochter kaum eines Blickes, sondern wandte sich an die Mamsell. »Wo ist die Amme?«
    »Sie wartet bereits in der Küche, gnädiger Herr.«
    Der Graf zog die Stirn kraus. »Was tut sie denn dort, wenn sie hier gebraucht wird?«
    »Sie isst, um sich für ihre

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