Die Kastratin
werden.
Giulia konnte die Gedanken der Gräfin an ihrem Gesicht ablesen und musste ihr innerlich beipflichten. Die Blicke, mit denen der junge Graf seine Frau maß, waren von tödlicher Verachtung, und man konnte ihm ansehen, dass er sie lieber heute als morgen loswerden wollte. Er war viele Jahre jünger als seine Frau und hatte sie nur wegen ihrer Mitgift geheiratet. Jetzt zeigte er deutlich, wie sehr sie ihn enttäuscht hatte, stieg offen den Mägden im Schloss nach und prahlte mit den Bastarden, die er bereits in die Welt gesetzt haben wollte. Giulia konnte bald erkennen, dass schon seine Anwesenheit die junge Gräfin in heillosen Schrecken versetzte. So würde es mit Gewissheit zu einer weiteren Fehlgeburt kommen. Nach einem besonders schlimmen Angstanfall der Schwangeren suchte sie den Vater des Grafen auf. »Verzeiht, Erlaucht. Ihr habt mich gerufen, um Eure Schwiegertochter zu beruhigen. Doch ich glaube nicht, dass mein Singen allein helfen wird.«
Der Graf reagierte verärgert, doch Giulia ließ sich nicht abschrecken. »Es geht um Euren Sohn. Die vielen Enttäuschungen der Vergangenheit haben die Nerven Eurer Schwiegertochter stark in Mitleidenschaft gezogen. Sie zittert vor Angst, vor ihrem Gemahl neuerlich zu versagen. Meiner Ansicht nach wäre es besser, wenn Comte Roberto die Burg verlassen und an anderer Stelle auf die Nachricht vom guten Ausgang der Schwangerschaft warten würde.« Giulia versuchte, es diplomatisch auszudrücken. An der jähen Änderung der Miene des Grafen erkannte sie jedoch, dass er sie sehr genau verstanden hatte. Er atmete scharf ein und nickte schließlich. »Es wird wohl das Beste sein, wenn Roberto das Schloss für einige Wochen verlässt. Ich gebe zu, dass die vielen Fehlgeburten seiner Frau ihn in Sorge versetzt haben, nie einen Erben zu erhalten. Er traut es Norina wohl auch diesmal nicht zu.« Er schien noch mehr sagen zu wollen, schwieg aber und wandte sich ab.
Giulia wusste, an was er dachte, denn die Zofe der jungen Gräfin hatte ihr erzählt, dass Roberto Biancavallo schon vor mehreren Jahren von seiner Frau verlangt hatte, im Falle einer weiteren Fehlgeburt diese zu verschweigen und einen seiner neugeborenen Bastarde als ihren Sohn auszugeben. Zu seinem Pech aber hatte die dafür vorgesehene Magd nur ein Mädchen zur Welt gebracht. Auf alle Fälle war sie froh, dass der alte Graf seinen Sohn wegschicken wollte, und sah erfreut, dass schon die Nachricht von seiner bevorstehenden Abreise die Schwangere beruhigte.
Für Giulia wurde die Arbeit jedoch nicht leichter. Norina Biancavallo schrak bei jedem Hauch zusammen und verkroch sich fast in ihrem Bett, wo sie von den Weihrauchschwaden umgeben, die der Priester ihres Schwiegervaters verbrannte, in fast völliger Dunkelheit die Heilige Jungfrau anflehte, ihr wenigstens diesmal beizustehen.
Assumpta hielt diese Haltung der Schwangeren für mehr als ungesund. Doch erst die Androhung, dass Giulias Stimme im dumpfen Dunst des Schlafzimmers versagen würde, brachte die junge Gräfin dazu, wenigstens eines der Fenster öffnen zu lassen, so dass frische Luft hereinströmen konnte. Da Norina Biancavallo von ihrem Schwiegervater wusste, dass Giulia dessen Schwester mit der Macht ihrer Stimme vor Trübsinn und Depressionen bewahrt hatte, verlangte sie fast ständig die Anwesenheit des Sängers. Dabei war sie kaum an den Liedern interessiert, die ihr vorgetragen wurden, sondern nur mit ihrem eigenen Leid beschäftigt.
Für Giulia war es nicht einfach, immer wieder von den hysterischen Ausbrüchen der Schwangeren unterbrochen zu werden. Bald fand sie sich in der Rolle eines Arztes und Seelentrösters wieder. Sie musste die junge Gräfin nicht nur beruhigen, sondern auch dafür sorgen, dass diese genug Nahrung zu sich nahm, damit das Kind in ihrem Leib gedeihen konnte. Zum Glück kam sie sowohl mit der Zofe als auch mit der Schlossmamsell gut zurecht. Die Bediensteten hofften nicht weniger als ihre Herrschaft auf einen Erben und taten alles, was in ihrer Macht stand, um die Schwangere zu hegen.
Die Mamsell war Giulia überaus dankbar für ihr Eingreifen und sorgte dafür, dass ihr Zimmer stets zu den saubersten und angenehmsten im ganzen Schloss gehörte. Das Bett war immer frisch gelüftet, und jeden Abend standen Blumen auf dem Tisch. Giulia freute sich über diese kleinen Aufmerksamkeiten, denn sie gaben ihr das Gefühl, willkommen zu sein. So hart ihr die stete Sorge um die junge Gräfin oft auch ankam, so war sie
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