Die Kastratin
trat. Dann streckte er die rechte Hand ins Freie und winkte einen Mann in der Kleidung eines Kutschers zu sich. »Hast du den weibischen Mann gesehen? Das war Casamonte. Jetzt bist du an der Reihe.«
Der nickte und ging auf die Herberge zu. Giulia, die sich eben den Reisestaub von Gesicht und Händen wusch, sah unwillig auf, als der Kutscher vor ihr stehen blieb. »Was willst du?«
»Seid Ihr der Kastrat Giulio Casamonte?«
»Wenigstens nennt man mich so.«
Der Kutscher zog seinen Hut und verneigte sich vor ihr. »Der Prior von San Lassaro schickt mich. Ich sollte Euch eigentlich in Biancavallo abholen, da mein Herr nicht wusste, ob Euch der Graf ein Gefährt zur Verfügung stellen würde.«
»Wie du siehst, hat er es getan.« Giulia begriff nicht, worauf der Mann hinauswollte. Er verbeugte sich noch einmal und erklärte, dass er den Wagen des Grafen zurückschicken würde, da er ab hier für sie zuständig sei.
Giulia wunderte sich zwar über die unübliche Fürsorge des Priors, doch sie war zu müde, um darüber nachzudenken. So nickte sie nur und war froh, als der Mann wieder ging und sie mit Assumpta allein ließ. Zur Erleichterung ihrer Dienerin aß sie eine Kleinigkeit und legte sich bald zu Bett. Als sie am nächsten Morgen im Frühstückszimmer saß, kam der Kutscher des Grafen noch einmal herein, um sich zu verabschieden. Giulia gab ihm ein Geldstück und wünschte ihm eine gute Fahrt. Ein Blick durch das Fenster zeigte ihr, dass der andere Wagen für sie bereitstand. Die beiden Helfer des Kutschers waren gerade dabei, ihr Gepäck aufzuladen.
Seufzend wandte sie sich ab. »Ich hoffe, in Verona erwartet uns eine Nachricht von Vincenzo.«
Assumpta winkte ab und schüttelte den Kopf. »Erhoffe dir nicht zu viel. Er ist zwar ein vortrefflicher junger Mann, aber ich fürchte, dass wir ihn nie wiedersehen werden. Du hast ihn schwer gekränkt, und Männer vergessen nicht so leicht wie Frauen. Das liegt in ihrer Natur.«
Giulia schob den noch halb vollen Teller beiseite. »All die Wochen in Biancavallo habe ich mich mit dem Gedanken aufrechterhalten, dass Vincenzo uns in Verona erwartet oder uns wenigstens eine Nachricht hinterlassen hat.«
»Dort hätte er erfahren, wo du dich aufhältst, und wäre zum Castello gekommen. Nein, nein, je früher du dich mit dem Gedanken abfindest, ihn verloren zu haben, umso besser ist es für deinen Seelenfrieden.« Assumpta tat es Leid, Giulias Hoffnung zerstören zu müssen. Es erschien ihr jedoch besser, wenn ihre Herrin ohne Erwartungen in Verona eintraf. Die Enttäuschung würde sonst umso schlimmer sein.
Giulia schüttelte sich und beendete das Gespräch, indem sie aufstand und ihre Zeche beim Wirt beglich. Kurz darauf stieg sie in die wartende Kutsche und half Assumpta, ihr gegenüber Platz zu nehmen. Auf den ersten Meilen hingen beide stumm ihren Gedanken nach. Schließlich erreichte der Wagen eine Wegkreuzung und bog dort nach Süden ab. Giulia achtete nicht darauf, doch Assumpta fragte sich, warum der Kutscher nicht Richtung Verona fuhr. Sie öffnete die Fensterklappe und steckte den Kopf hinaus. Als sie sich wieder Giulia zuwandte, stand ihr die Verblüffung ins Gesicht geschrieben. »Ich glaube, da stimmt etwas nicht. Bei uns sind nicht nur der Kutscher und zwei Gehilfen. Ein weiterer Mann sitzt auf dem Bock, und sechs Reiter folgen uns dichtauf.«
Giulia zuckte mit den Schultern. »Vielleicht gibt es hier besonders gefährliche Räuber. Da will uns wohl der Prior von San Lassaro nicht ohne Begleitschutz reisen lassen.«
Assumpta ließ sich nicht so leicht beruhigen. »Das mag schon sein. Trotzdem habe ich ein ungutes Gefühl.« Sie blickte erneut hinaus und starrte angestrengt auf den Meilenstein, der an der nächsten Wegkreuzung auftauchte. Sie konnte zwar nicht besonders gut lesen. Doch sie war sich nun sicher, dass sie nicht nach Verona fuhren.
Angsterfüllt stieß sie Giulia an und deutete hinaus. »Schau doch selbst, Liebes. Wir werden entführt. Wahrscheinlich sind wir Räubern in die Hände gefallen, die dir ein hohes Lösegeld abpressen wollen.«
Giulia schüttelte ungläubig den Kopf, spähte dann aber vorsichtig hinaus. Im ersten Augenblick gab sie Assumpta Recht, doch auf den zweiten Blick wirkten die Reiter weniger wie Banditen als wie Soldaten, auch wenn sie keine Uniformen trugen. Um Klarheit zu erlangen, klopfte sie gegen die kleine, jetzt verschlossene Luke zum Bock. Der Kutscher reagierte nicht. Unruhig geworden versuchte sie, den Schlag
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