Die Kastratin
glaube mir. Der Pater wollte es so.«
Pater Lorenzo sprang ihm sofort bei. »Lasst es Euch erklären, gute Frau. Es gilt, ein gutes Werk zu tun. Ludovico, unser Solosänger, hat plötzlich den Stimmbruch bekommen, und es gibt keinen Knaben weit und breit, der seinen Part übernehmen könnte. Nur Eure Tochter hat die Fähigkeit, ihn zu ersetzen.«
Maria Fassi wich entsetzt vor ihm zurück und schlug das Kreuzzeichen. »Ihr seid kein Mönch Gottes, sondern ein Diener des Satans, Pater, sonst hättet Ihr niemals so einen Vorschlag gemacht. Und du, Girolamo, wirst in der Hölle schmoren, weil du dich mit einem Dämon verbündet hast und das Seelenheil deiner Tochter für ein Lied opferst.«
Fassi ging auf sie zu und wollte sie in den Arm nehmen. »Bitte, Maria, hör mir zu. Es geht nicht einfach um ein Lied. Wenn die Messe ein Fehlschlag wird, kostet es mich meine Stellung beim Grafen. Dann sind wir nur noch heimatlose Bettler.«
»Geld bedeutet dir also mehr als die unsterbliche Seele deines Kindes.« Maria Fassi schluchzte wild auf, wehrte ihn ab und stolperte auf Giulia zu. Doch ehe sie sie erreichte, sackte sie ohne einen Laut in sich zusammen und fiel zu Boden. Fassi griff sofort nach ihr und versuchte, sie aufzurichten. »Es ist sinnlos, Meister Girolamo. Eure Frau ist ohnmächtig geworden«, sagte der Pater und zuckte zusammen, als plötzlich im Flur Schritte erklangen. Einen Moment später steckte die Magd den Kopf zur Türe herein und starrte neugierig auf die ungewöhnliche Szene. »Hat jemand nach mir gerufen? Ich glaubte, meinen Namen gehört zu haben.«
Fassi deutete mit dem Kopf auf seine Frau. »Maria ist ohnmächtig geworden, Assumpta. Hilf mir bitte, sie ins Bett zu bringen.« Pater Lorenzo hatte sich vor Giulia geschoben, um sie vor den Blicken der alten Frau zu verbergen. Doch Assumpta hatte das Mädchen bereits gesehen und schlug das Kreuzzeichen. »Bei der Jungfrau Maria, was ist denn hier passiert?«
»Sei still, altes Weib«, fuhr der Pater sie an. »Du tust am besten so, als hättest du nichts gesehen. Unser Leben hängt davon ab.«
Er überlegte einen Augenblick und wandte sich dann Fassi zu. »Es ist das Beste, wenn Ihr mit Giulia schon zur Zehntscheuer vorgeht. Ich helfe inzwischen der Dienerin, Euer Weib in ihre Kammer zu bringen. Und ich werde Assumpta davon überzeugen, dass sie unter allen Umständen den Mund zu halten hat.«
Die Magd funkelte ihn wütend an. »Das versteht sich von selbst. Wenn es um unsere Kleine geht, schweige ich wie ein Grab.« Offensichtlich hatte sie sofort erfasst, um was es hier ging, denn sie nickte Giulia aufmunternd zu und schlang dann die Arme um die Bewusstlose. Als sie Maria Fassi mit Hilfe des Paters ins Bett gebracht hatte, trat sie ans Fenster, sah zu den Sternen hoch und faltete die Hände zum Gebet. Stumm flehte sie die Jungfrau Maria an, Giulia zu beschützen.
VIII .
D ie alte Zehntscheuer des Klosters war ein großes, aus Feldsteinen erbautes Gebäude, das fast eine Meile vor der Stadt neben einer halb verfallenen Kapelle und nicht weit von den verfallenen Resten einiger anderer Gebäude stand. Hier hatte es früher einen Gutshof gegeben, der von marodierenden Soldaten niedergebrannt worden war. Wie viele andere Bewohner Salettos fürchtete auch Giulia sich vor diesem Ort, an dem, wie es hieß, noch immer die Geister der ermordeten Bewohner umgingen. Ihr Vater setzte sich ohne weitere Diskussion über ihre Bedenken hinweg und zog sie kurzerhand an den verkohlten Grundmauern vorbei zur Scheuer. Der Schlüssel drehte sich ganz leicht im Schloss, so als sei es kürzlich noch geölt worden, aber das Innere wirkte, so weit die kleine Laterne reichte, staubig und seit langem ungenutzt.
Fassi stellte die Laterne auf ein altes Fass und sah Giulia auffordernd an. »Hier können wir proben, so viel wir wollen. Wir müssen uns sputen, denn die Zeit wird knapp.«
Giulia nickte beklommen. »Ja, ich weiß. Wir haben noch genau vier Tage.«
»Deshalb werden wir sofort beginnen.« Obwohl Girolamo Fassi übernächtigt und leicht angetrunken war, verdrängte er sein Bedürfnis nach Schlaf und forderte Giulia auf, den Beginn der Messe vorzutragen. Sie übten bis zum Sonnenaufgang und hätten immer noch weitergemacht, wenn sie nicht von festen Schritten aufgeschreckt worden wären. Es war jedoch nur Pater Lorenzo, der ihnen einen großen Korb mit Lebensmitteln und einige Decken brachte. Als er Fassi und Giulia begrüßte, wirkte er sehr besorgt. »Eure Frau
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