Die Kastratin
ist leider noch immer ohnmächtig, Meister Girolamo. Assumpta kümmert sich um sie. Es hat sie allerdings nicht davon abgehalten, diese guten Sachen für Euch einzupacken.« Mit diesen Worten holte er Schafskäse, Oliven und Brot aus dem Korb und breitete sie auf dem Fass aus.
Fassi schüttelte abwehrend den Kopf. »Ich habe keinen Hunger.«
Der Pater sah ihn tadelnd an. »Ihr müsst essen, und Giulia auch. Sonst werdet Ihr das Ganze nicht durchstehen. Denkt bitte auch daran, dass der Graf heute mit dem größten Teil seiner Gäste ankommt. Ihr werdet zur Begrüßung erscheinen müssen.«
Fassi ließ den Kopf sinken. »Wird der neue Kapellmeister dabei sein?«
Er schien jedoch keine Antwort hören zu wollen, denn er forderte Giulia barsch auf, etwas zu essen, damit sie danach weiter-üben könnten. »Und überfordert das Kind nicht«, mahnte der Pater. »Ich denke, es sollte nach dem Frühstück eine Weile schlafen.«
Fassi winkte unmutig ab. »Ich weiß genau, was ich Giulia zu-muten kann.«
IX .
I n den Tagen bis zum Fest des heiligen Ippolito lernte Giulia, dass es ein Leichtes war, einzelne Pasagen der Messe zu singen. Das gesamte, mehrstündige Werk forderte ihr jedoch alles ab. Ihr Vater schien nie zufrieden zu sein, denn er kritisierte sie oft und so scharf, dass sie mehrmals in Tränen ausbrach. Es war, als sei Girolamo Fassi von dem Willen besessen, die Palestrina-Messe mit allen Mitteln zu seinem Erfolg zu machen.
Während der Tage in der Zehntscheuer durfte Giulia auch nicht nach Hause zurückkehren, sondern musste in dem alten Stroh schlafen. Ihr graute vor den Ratten, die in der Nacht so nahe an sie herankamen, dass sie manchmal eines der Fellbündel im Schlaf berührte. Eine von ihnen biss sogar zu. Der Schmerz und das zornige Fiepen ließen Giulia hochschrecken. Den Rest der Nacht verbrachte sie dann zusammengekauert auf dem Fass und wartete vor Kälte zitternd auf ihren Vater.
Fassi zeigte wenig Verständnis für die Klagen seiner Tochter. Er verarztete den Rattenbiss und befahl ihr barsch, weiterzuüben. Aber sie brachte vor Müdigkeit und Erschöpfung keinen Ton heraus. Das überzeugte ihn dann doch. Er nahm sie in die Arme und versprach ihr, in den nächsten Nächten bei ihr zu bleiben und sie vor den Ratten zu beschützen. Dann flößte er ihr etwas Wein ein und ließ sie noch ein paar Stunden schlafen.
Am Morgen des Festes kam Assumpta aus der Stadt und brachte Giulia ein sauberes Unterhemd mit. Sie warf Fassi aus der Zehntscheuer und begann, das Mädchen von Kopf bis Fuß abzuwaschen. Giulia war nicht gerade begeistert, aber Assumpta ließ nicht locker. »Wir wollen doch nicht, dass du schmutzig vor den Altar trittst!« Etwas leiser setzte sie hinzu, dass sie Walnusssaft dabei habe, um dem Mädchen das Aussehen eines Bauernjungen zu geben, der sich viel im Freien aufhält.
Giulia klammerte sich zitternd an die alte Magd. »Assumpta, ich habe Angst. Ich habe noch nie mit dem Chor zusammen gesungen.«
Assumpta kniete vor ihr nieder und streichelte sie sanft. »Es gibt immer ein erstes Mal, mein Schäfchen. Du kannst doch so wunderbar singen, und die Muttergottes wird dir gewiss beistehen. Es wird alles gut werden, glaube mir.«
Giulia beruhigte sich jedoch erst, als sie ihr versprach, bei ihr zu bleiben, bis ihr Vater sie abholte und zur Kirche brachte.
X .
F rancesco della Rocca, der Abt von San Ippolito oder vielmehr der Inhaber der Pfründe, kam nur selten nach Saletto, sondern ließ sich durch einen Koadjutor vertreten. Wenn er auftauchte, war er ein gestrenger Herr, der keinen Fehler durchgehen ließ. Heute aber fand er an den Vorbereitungen für das jährliche Patronatsfest nichts auszusetzen. Die meisten der hochwohlgeborenen Gäste zogen die Bequemlichkeit des Grafenpalasts den kahlen Klostermauern vor, so dass nicht er, sondern Gisiberto Corrabialli für ihren Unterhalt zu sorgen hatte. Dennoch galt er nach außen hin als Gastgeber. Das war sehr wichtig, denn della Rocca wollte in der kirchlichen Hierarchie noch weiter aufsteigen.
Daher war er sehr froh, dass Kardinal Pietro Ferreri nach Saletto gekommen war. Er hatte ihm zwar die Feierlichkeiten recht farbig geschildert, aber nicht geglaubt, dass der Kardinal sich wirklich zu der Reise entschließen würde. Auch Ippolito della Rovere war pünktlich erschienen. Für ihn war es fast schon zur Pflicht geworden, an seinem Namenstag hierher zu reisen. Das galt auch für Ippolito Farnese, der bisher immer einer der Ersten
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