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Die Kastratin

Die Kastratin

Titel: Die Kastratin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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einer sehr vornehmen Familie zu tun.
    Bisher war sie gewohnt gewesen, sich ihre Schritte von ihrem Vater vorschreiben zu lassen. Daher wollte sie den Lakaien schon bitten, auf dessen Rückkehr zu warten. Sie wusste jedoch nicht, wie lange ihr Vater noch ausbleiben würde, und musste die Entscheidung selbst treffen. In dem Moment fielen ihr Dutzende Geschichten über Entführungen, Morde und andere Verbrechen ein, die mit einer solchen Einladung begonnen haben mochten. Ihr Vater hatte ihr deswegen auch verboten, allein auszugehen. Doch wenn sie diesen Auftrag ausschlug, konnte es der letzte gewesen sein, den sie erhielt. Sie mochte sich gar nicht erst auszumalen, was ihr Vater in dem Fall mit ihr anstellen würde. »Ich ziehe mich um. Du kannst derweil hier unten auf mich warten«, erklärte sie dem Boten mit fester Stimme und eilte nach oben. Als Erstes klopfte sie an die Kammer, in der Assumpta und Beppo untergebracht waren. Das Dienerpaar hockte nebeneinander auf dem einzigen Möbel in der düsteren Stube, einem großen Strohsack. Assumpta kämpfte mit einem Faden, den sie bei dem schlechten Licht nicht mehr durchs Nadelöhr brachte, während Beppo mürrisch gegen die Wand starrte. Als sie Giulia sahen, standen beide sofort auf.
    Assumpta sah sie besorgt an. »Gibt es etwas Besonderes?«
    Giulia nickte. »Ein Lakai hat eben die Einladung zu einer Abendgesellschaft gebracht, auf der ich singen soll. Da mein Vater noch nicht zurück ist, muss Beppo mich begleiten.«
    Die mürrische Miene des Dieners verlor sich in Sekundenschnelle. Er griff in seine Hosentasche, holte ein großes Klappmesser hervor und versuchte, so grimmig wie möglich auszusehen. »Wenn jemand frech werden will, werde ich ihn damit kitzeln.«
    Assumpta lachte auf und schüttelte nachsichtig den Kopf. »Spiel du nur mit deinem Messer herum. Aber pass auf, dass du dich nicht selbst schneidest. Ich gehe mit Giulia auf ihr Zimmer und helfe ihr, sich anzukleiden.«
    Keine Viertelstunde später steckte Giulia in ihrem besten Gewand. Beppo besaß jedoch nichts weiter als seinen grauen Bauernkittel. Als sie die Schankstube betraten, warf der Lakai ihm einen verächtlichen Blick zu und bat Giulia, ihm zu folgen.
    Ihr Weg führte in einen ihnen noch unbekannten Teil der Stadt. Der Palazzo der Familie Rioli war etwas kleiner als Batista Gonzagas Domizil und wies auch keine so protzige Fassade auf. Die Bemalung und das in Stein gehauene Rankenwerk gefielen Giulia jedoch besser als die steifen Arkaden des Gonzagahauses. Auch hier musste sie das Gebäude durch den Dienstboteneingang betreten. Der Lakai übergab sie einem anderen Diener, der ihr sehr von oben herab bedeutete, ihm zu folgen. Beppo wollte mitgehen, doch da hob ihr Führer gebieterisch die Hand. »Dein Platz ist dort neben der Tür, Mann.«
    »Wie der eines Hundes. Nun gut, in gewisser Weise bin ich auch einer, nämlich Giulio Casamontes Wachhund.« Fast hätte Beppo Giulia gesagt, verbesserte sich aber früh genug, um keinen Verdacht zu erregen. Während Giulia zu den Herrschaften geführt wurde, setzte er sich mit dem Rücken zur Wand neben die Tür und stellte sich auf eine längere Wartezeit ein.
    Der Erste, der Giulia an der Tür zum Festsaal entgegenkam, war Paolo Gonzaga. Er begrüßte sie wie einen guten alten Bekannten und winkte dem Diener, sich zu entfernen. »Ich freue mich, Euch zu sehen, Signore Casamonte, obwohl ich sagen muss, dass ich an Eurem Kommen nicht ganz unschuldig bin. Immerhin habe ich den verehrten Rioli auf Euch aufmerksam gemacht«, erklärte er ihr und zwinkerte ihr verschwörerisch zu.
    Giulia senkte den Kopf, um ihre Verwirrung zu verbergen. »Ich danke Euch von Herzen für Eure Hilfe.«
    »Das habe ich gerne getan. Aber ich muss gestehen, es geschah nicht ganz ohne Hintergedanken.« Paolo zog ein zusammengefaltetes Stück Papier hervor und reichte es Giulia. Es war nicht größer als ihr Handteller. »Gebt dieses Brieflein Isabella Brazzone, der Nichte unseres Gastgebers, und sagt ihr, dass sie mir ihre Antwort über Euch zukommen lassen soll. Ich kann mich ihr nicht nähern, ohne dass sich sämtliche Klatschbasen von Mantua die Mäuler zerreißen. Als Kastrat gebt Ihr jedoch keinen Anlass zu irgendwelchen falschen Verdächtigungen.«
    Giulia bekam einen Anfall von Eifersucht. »Ist sie Eure Geliebte?«
    »Sie ist meine Angebetete, meine Göttin, mein Augenstern.« Paolos schwärmerischer Ausbruch stieß Giulia ab, und sie überlegte, ob sie seine Bitte ablehnen

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