Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Kastratin

Die Kastratin

Titel: Die Kastratin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
Vom Netzwerk:
sollte, entschied sich aber dagegen. Sie war Paolo einen Gefallen schuldig und durfte ihn nicht vor den Kopf stoßen. Außerdem war es Isabella Brazzones Entscheidung, ob sie auf das heimliche Werben eines jungen Mannes eingehen oder ihm einen Korb geben wollte.
    Sie schob das Billett in ihren Ärmel und trat in den ganz in Grün und Gold gehaltenen Saal, der ebenso wie der Salon im Palazzo Gonzaga nur sehr spärlich möbliert war. Als sie sich kurz umsah, war Paolo verschwunden. Zu ihrem eigenen Erstaunen amüsierte Giulia sich darüber. Da sie seine Liebespost übergeben sollte, wollte er natürlich nicht mit ihr gesehen werden. Der Gedanke daran half ihr, ihre innere Ruhe wiederzufinden.
    Da sie nicht angemeldet worden war, beachtete sie zunächst niemand. Die meisten Gäste scharten sich um einen jungen Edelmann in einem schon leicht abgeschabten, grünen Wams und ausgebleichten, roten Hosen, der ein freches Chanson zum Besten gab. Giulia hörte ihm aufmerksam zu und fand, dass er eine recht angenehme Stimme besaß, die sich jedoch durch keinen großen Tonumfang auszeichnete. Für seine anzüglichen, ja fast bösartigen Liedverse reichte es jedoch. Sie hoffte, man würde nichts Ähnliches von ihr fordern, denn so frivole Texte gehörten nicht zu ihrem Repertoire.
    Als der junge Sänger seinen Vortrag mit einem letzten Akkord auf seiner Laute beendete und sich Beifall heischend verbeugte, schob sich ein Mann mittleren Alters nach vorne, den Giulia seinem Auftreten nach für den Gastgeber des Festes hielt. »Dein Vortrag war ja recht hübsch, Vincenzo. Aber ich fürchte, in meinem Hause war er fehl am Platz. So etwas gehört eher in die Spelunken, in denen du dich sonst herumzutreiben pflegst. Ich hoffe, du wirst dir das nächste Mal besser überlegen, was du in guter Gesellschaft zum Besten gibst.«
    »Der Bischof von Neri wird deine Verse wohl kaum zu würdigen wissen, nachdem du seine Vorliebe für junge Ministranten so offen dargelegt hast«, spöttelte Paolo, der wie ein Schatten hereingekommen war und jetzt so tat, als habe er den Saal nie verlassen.
    Unwillkürlich verglich Giulia die beiden jungen Männer miteinander. In seiner prächtigen Kleidung, die heute aus einem nachtblauen Wams und silberfarbenen Hosen bestand, sah Paolo sehr beeindruckend aus, und er besaß auch das hübschere Gesicht. Vincenzo aber imponierte ihr auf andere Weise. Seine Kleidung zeigte deutlich, dass er in verbesserungswürdigen Verhältnissen lebte. Seine blauen Augen strahlten jedoch einen ungebrochenen Optimismus aus, und sein schmales Gesicht mit der leicht gebogenen Nase wirkte amüsiert. Er fuhr sich mit seiner behandschuhten Rechten durch das lockige, dunkelblonde Haar und verbeugte sich beinahe spöttisch vor dem Gastgeber. »Ich bedauere sehr, dass Euch mein Lied so missfallen hat, Don Cesare, und bitte Euch deshalb um Verzeihung.« Das war eine glatte Lüge, denn er sah alles andere als geknickt aus.
    »Es hat mir nicht direkt missfallen. Das Dumme ist nur, dass es schon morgen die Gassenjungen auf den Straßen grölen werden. Der ehrwürdige Bischof wird darüber nicht sehr erfreut sein.«
    »Er wird vor Wut platzen«, warf ein anderer Mann lachend ein. »Mit diesem Streich hast du dir keine Freunde gemacht, mein lieber Vincenzo. Wenn du einem guten Rat zugänglich bist, solltest du Mantua auf schnellstem Weg verlassen. Sonst kommt der Bischof womöglich noch auf die Idee, dich von seinen Lakaien auspeitschen zu lassen.«
    Vincenzo warf herausfordernd den Kopf in den Nacken und stemmte eine Hand in die Hüfte. »Sie sollen nur kommen und es versuchen!«
    Der Hausherr zuckte mit den Schultern und fand, er habe sich lange genug mit dem jungen Mann abgegeben. Daher löste er sich von der Gruppe und sah sich suchend um. Als er Giulia entdeckte, trat er auf sie zu und musterte sie zweifelnd. »Seid Ihr der Kastratensänger Casamonte?«
    »So wird es behauptet.« Giulia verneigte sich und kämpfte dabei erneut mit der Angst vor einer Entdeckung.
    »Ich habe gehört, dass Eure Stimme geeignet sein soll, mein Fest zu verschönern. Nun gebe ich Euch die Gelegenheit, es mir und meinen Gästen zu beweisen. Wenn es stimmt, soll es Euer Schaden nicht sein.« Cesare Rioli fasste sie am Arm und drehte sie einmal um ihre Achse, damit alle seine Gäste sie sehen konnten.
    Mittlerweile waren auch zwei Frauen eingetreten und nahmen auf Stühlen im Hintergrund Platz. Eine davon war mittleren Alters und trug ein quittengelbes Kleid, das

Weitere Kostenlose Bücher