Die Kastratin
den großen Saal und hatte dabei das Gefühl, als ginge sie zu ihrer Hinrichtung und nicht zu ihrem nächsten Triumph. Sie sann aber auch über die Tatsache nach, dass Graf Alari sie mit einem Titel angesprochen hatte, der eigentlich nur hohen Herrschaften gebührte, und seine Aufforderung, zu singen, in eine höfliche Bitte gekleidet hatte. Mit einem kleinen Gefühl des Stolzes schwor sie sich, sich von niemandem unterkriegen zu lassen, auch nicht von einem Paolo Gonzaga.
Giulia war routiniert genug, um ihren Vortrag trotz ihrer tanzenden Gedanken mit der nötigen Spannung zu beginnen, und schon bald wurde sie wieder vom Rausch der Musik fortgetragen. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie wieder zu sich kam und die erstaunten und begeisterten Gesichter ihrer Zuhörer auf sich gerichtet sah. »Bravissimo«, rief der Graf unter heftigem Händeklatschen. »Casamonte, ich habe Euch noch nie schöner singen hören.«
»Comte Alari hat Recht. Ihr wart nie besser«, stimmte Paolo Gonzaga ihm zu und wandte sich dann an einen etwas derb gebauten Mann in geckenhaft engen gelben Hosen und einem vielmals geschlitzten blauen Wams mit rotem Innenfutter. »Meint Ihr nicht auch, Messer Robaccio?«
Der Angesprochene errötete vor Freude, von einem Mitglied der herzoglichen Familie angesprochen zu werden, und nickte heftig. »Man konnte fast glauben, einen Engel des Herrn zu hören.«
»Der Stimme Casamontes kann so leicht niemand widerstehen, weder ein zorniger Vater noch eine gekränkte Ehefrau«, erklärte Paolo Gonzaga mit einem freundlichen Lächeln, ohne Robaccio dabei aus den Augen zu lassen. Der Mann war ein guter Bekannter Baldassare Pollais, aber nicht so gut mit dessen Verhältnissen vertraut, um über die Sache mit Leticia Bescheid zu wissen. Robaccio schien jedoch gehört zu haben, dass Pollai gewisse Probleme mit seiner jungen Frau hatte, denn er sah den Kastraten noch einmal nachdenklich an und wandte sich dann fragend an Paolo. »Glaubt ihr, dass Signore Casamonte auch bei kleineren Anlässen auftritt, zum Beispiel bei einer internen Familienfeier? Ein Freund von mir würde sich gewiss freuen, wenn der Sänger seine Kunst vor dessen melancholisch gewordener Ehefrau zum Besten geben könnte.«
Paolos zuvorkommende Miene änderte sich um keinen Deut, doch er hatte das Gefühl, als wäre der Fisch dabei, seinen Köder zu schlucken. »Casamonte ist derzeit in Mantua sehr gefragt. Doch soviel ich weiß, singt er auch gerne vor nur einer Person. Er kann dabei nämlich besonders gut auf die Stimmungen und Grillen von Frauen eingehen.«
Robaccio starrte Paolo Gonzaga verwirrt an. »Ihr meint, nur die Frau und der Sänger allein? Das ist doch nicht schicklich.«
Paolo hatte jedoch auch für diesen Einwand die passende Antwort parat. »Besäße der junge Bursche noch etwas, was wir beide haben, wäre dies sicher der Fall. Doch so könnte nicht einmal Venus selbst ihn zur Liebe bewegen.«
»Stimmt, er ist ja ein Verschnittener.« Robaccio atmete erleichtert auf. »Auf alle Fälle besten Dank, Herr Paolo. Ihr habt einen Freund von mir soeben sehr geholfen.«
»Es war mir ein Vergnügen.« Paolo deutete eine Verbeugung an und verabschiedete sich von dem Mann, um nach Giulia zu suchen. Er fand sie zum Aufbruch bereit im Korridor stehen. »Einen Moment, Messer Casamonte. Haltet Euch bitte einen der nächsten Tage für ein kleines, privates Konzert frei.« Nach diesen Worten grüßte er und mischte sich wieder unter die Gäste.
Giulia blickte ihm verwirrt nach und wusste nicht, was sie von all dem zu halten hatte.
XII .
G iulia erschien am nächsten Morgen pünktlich in der Kirche der heiligen Maria Maddalena. Ihre Gedanken schwirrten wie gefangene Vögel in ihrem Kopf, so dass sie der Predigt Don Giantolos kaum folgen konnte. Immer wieder sah sie sich suchend unter den Besuchern der Messe um, ohne Paolo Gonzaga entdecken zu können. Als die Menschen die Kirche wieder verließen, glaubte sie schon, er wäre nicht gekommen. Doch plötzlich schob sich ein Mann in einem abgetragenen Kittel an ihre Seite. Erst als er sie unverschämt angrinste, erkannte sie den jungen Adligen. »Ich sehe, Ihr seid pünktlich«, begrüßte er sie und winkte sie in den Schatten einer Säule. Giulia achtete dabei kaum auf den kurzen Blick, den er mit einem jungen Burschen in einem arg bunten Wams und straff auf den Schenkeln sitzenden Hosen wechselte. Dieser lehnte sich jetzt so an die Säule, dass er das ganze Kirchenschiff im Blickfeld hatte
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