Die Kastratin
nahte, fragten sich die Bewohner der Burg ängstlich, aber auch voller Hoffnung, ob ihre Herrin diesmal daran teilnehmen könne. Der Pater versicherte ihnen, es sei der Fall, denn Casamontes Stimme würde die melancholischen Gedanken der Gräfinwitwe besser vertreiben als das Weihwasser den Teufel.
Von Celestina, der Kammerfrau, erfuhr Giulia, dass ihre Herrin sich schon vor etlichen Jahren mit ihrem Sohn, dem jetzigen Grafen von Falena, entzweit habe, da dieser eine reiche, aber in den Augen der Gräfinwitwe sehr unpassende Erbin geheiratet habe. Wie es hieß, endete der Stammbaum der jungen Dame bereits bei ihrem Großvater, der als Maultiertreiber im Heer eines Farnese begonnen hatte. Besagter Herr hatte sich später durch eine unterschlagene Kriegskasse den Rang eines Cavaliere in den päpstlichen Domänen und schließlich den Titel eines Barons gekauft. Bei so großen Festen wie Weihnachten oder Ostern verspürte die Gräfinwitwe eine starke Sehnsucht, ihre Enkelkinder zu sehen. Sie war jedoch zu stolz, ihre Schwiegertochter um einen Besuch zu bitten oder gar selbst den Weg in die Residenz ihres Sohnes anzutreten, der den Worten der Kammerfrau nach völlig unter dem Pantoffel seiner Frau stand und dieser alle wichtigen Entscheidungen überließ.
Giulia war es peinlich, so tief in die familiären Verhältnisse ihrer Auftraggeberin eingeführt zu werden. Andererseits half ihr dieses Wissen, jene Lieder zu meiden, die die Schwermut der Gräfinwitwe noch verstärken konnten. Jeden Morgen besprach sie mit Pater Franco das Programm des Tages und studierte unter seiner Anleitung Musik und Komposition, bis sie beide zur Gräfinwitwe gerufen wurden.
Sooft das Wetter es zuließ, machten sie am Nachmittag einen Spaziergang. Da sich die Dörfler allmählich an Giulia gewöhnt hatten und ihr auch die Kinder nicht mehr nachliefen, war sie jetzt sogar recht froh, an die frische Luft zu kommen. Wenn jedoch Regen vom Himmel prasselte und kalter Wind an den Fensterläden rüttelte, saßen sie vor einem großen Kaminfeuer und tranken warmen Würzwein, den die Mamsell eigenhändig zubereitet hatte. Die Gräfinwitwe lauschte Giulias Liedern und bat sie oft, das eine oder andere davon, das ihr besonders gefiel, zu wiederholen.
Assumpta und ihr Mann hatten sich ebenso gut in der Burg eingelebt wie Giulia selbst. Ihr Vater aber bereitete ihr zunehmend Sorge. Zu Beginn hatte sie ihn mehrmals gebeten, gemeinsam mit ihr und Pater Franco zu musizieren. Mit etwas gutem Willen hätte er sich ebenfalls an der Unterhaltung der Gräfinwitwe beteiligen und damit auch an deren Tisch sitzen können. Obwohl er nicht mehr so kindisch trotzte wie zu Beginn ihres Aufenthalts, ließ er sich lange bitten, bis er sie das erste Mal zur Gräfin und dann in Pater Francos Studierzimmer begleitete. Eine halbe Stunde später bedauerte Giulia, ihn dazu aufgefordert zu haben, denn er geriet mit dem Mönch heftig aneinander. Ihm gefiel weder dessen Art, die Noten zu interpretieren, noch war er mit der Wahl der für Giulia vorgesehenen Lieder einverstanden.
Giulia begriff zunächst nicht, weshalb ihr Vater sich so schlecht benahm. Dann erinnerte sie sich daran, dass das Gesinde der Burg ihm eine mehr oder weniger offene Verachtung entgegenbrachte. Da Assumpta keinen Grund gesehen hatte, ihn zu schonen, hatte sie Risa und den anderen Bediensteten erzählt, dass Girolamo Casamonte seinen Sohn aus Geldgier zum Kastraten gemacht hatte und nun von den Einnahmen seines Sohnes wie eine Made im Speck lebte. Als Girolamo Casamonte Pater Franco vorwarf, ein alter, verschrobener Trottel zu sein, der nichts von Musik verstand, konnte sich der sonst so liebenswerte Mönch ein paar entsprechende Bemerkungen nicht verkneifen.
Der Streit eskalierte, und schließlich verließ Giulias Vater wutschnaubend das Studierzimmer. Pater Franco rief ihm aus vollem Herzen ein »Bastard« nach, wandte sich dann zu Giulia um und tätschelte ihre Hand. »Ich kann dir nicht sagen, wie Leid du mir tust, mein Sohn. Du hättest wahrlich einen besseren Vater verdient.«
»Ich weiß auch nicht, warum er so geworden ist. Früher war er ganz anders.« Giulia kämpfte mit den Tränen und schniefte wie ein Kind. »Das macht dieses gelbe Teufelszeug, hinter dem die Menschen mehr herjagen als hinter ihrer ewigen Seligkeit«, erklärte der Mönch grimmig. »Ich habe schon oft gesehen, wie ein braver Mann durch die Macht des Goldes zu einer ekelhaften Kreatur wurde. Gebe Gott, dass du rasch deine
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