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Die Kastratin

Die Kastratin

Titel: Die Kastratin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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wie es wäre, Frauenkleider anzuziehen und auf diese Weise die Liebe kennen zu lernen. Dabei interessierte sie sich nicht so sehr für das, was die Männer in ihren Schamkapseln verbargen, sondern sehnte sich nach einer sanften, streichelnden Hand und einem Mund, der zärtlich zu küssen vermochte. »Es ist unmöglich«, flüsterte sie traurig. Dann zog sie die Schultern straff, atmete tief durch und machte sich auf den Weg in den großen Saal, in dem das Weihnachtsfest gefeiert werden würde.
    Die riesige Halle war festlich geschmückt. Lange, von Bänken gesäumte Tischreihen zogen sich an den Wänden entlang und bogen sich bereits unter der Last der Speisen. Giulia selbst wurde nach vorne zur Gräfinwitwe geführt, die eben auf einem gepolsterten Stuhl Platz genommen hatte. Die Burgherrin trug zur Feier des Tages diesmal nicht Schwarz, sondern hatte eine tiefrote Robe angezogen. Um ihren schlanken Hals lag eine dreifach geschlungene Kette aus großen Perlen, die die Farbe des Kleides widerspiegelten und rötlich schimmerten. Pater Franco stand einen Schritt hinter ihr, in der Hand ein Erbauungsbuch, aus dem er vorlesen wollte.
    Giulia verbeugte sich vor der Gräfinwitwe und stellte sich auf einen Wink hin ebenfalls hinter dem Stuhl auf. Während sie sich sammelte, beobachtete sie das Kommen und Gehen im Saal. Die meisten Bediensteten saßen bereits auf ihren Plätzen und sahen mit stolzen und glücklichen Mienen zu ihrer Herrin herüber. Trotz der strengen Rangordnung, die unter dem Gesinde herrschte, hatte Assumpta einen Platz direkt neben der Mamsell zugewiesen bekommen. Nicht weit von ihr entfernt saß Beppo neben dem Burggärtner, einem knorrigen kleinen Mann. Giulia hielt auch nach ihrem Vater Ausschau und entdeckte ihn schließlich weit im Hintergrund zwischen Risa und einer anderen Magd. Er wirkte bereits angetrunken und griff immer wieder mit der Rechten an Risas Hinterteil. Die abwehrenden Handbewegungen der jungen Frau ignorierte er dabei völlig.
    Giulia schämte sich für ihn, denn sie wusste, dass Risa mit dem Kutscher der Gräfinwitwe verlobt war und diese ihre Erlaubnis zur Hochzeit bereits angedeutet hatte. Dem jungen Burschen schien Girolamo Casamontes aufdringliche Werbung um seine Braut wenig zu gefallen, denn er rückte auf seinem Platz nervös hin und her und bombardierte ihn mit zornigen Blicken.
    Giulia überlegte, ob sie hingehen und ihren Vater bitten sollte, das Fest nicht zu stören, da drehte sich die Gräfinwitwe um und fasste nach Giulias Hand. »Es ist an dir, mein lieber Giulio, das Fest mit deinem Gesang zu eröffnen.«
    Giulia löste den Blick von ihrem Vater, atmete tief durch und ließ die Töne aus ihrer Kehle perlen.

IX .
    G irolamo Casamonte saß missmutig auf seinem Platz und ärgerte sich über alles Mögliche, angefangen von Risas ablehnender Reaktion bis hin zu der Tatsache, dass er bei dem niederen Gesinde hocken musste, während seine Tochter das Privileg genoss, am Tisch der Gräfinwitwe sitzen zu dürfen. Das Essen war bäurisch und der Wein, der hier aufgetischt wurde, schlichtweg eine saure Zumutung. Wehmütig dachte er an die wunderbaren Tropfen, die ihm im Goldenen Lamm zu Mantua eingeschenkt worden waren.
    Während die übrigen Festteilnehmer überglücklich waren, dass der Zustand ihrer Herrin es erlaubte, eine Feier zu veranstalten, und das auch deutlich kundtaten, wurde er zunehmend verdrossener. Mit verkniffener Miene nahm er das Lob zur Kenntnis, das die Gräfinwitwe seiner Tochter und Pater Franco für die gelungene Musik spendete, und dachte bei sich, dass es eigentlich ihm gelten müsste. Immerhin hatte er Giulias Stimme entdeckt und ausgebildet, und ohne seine jahrelangen Mühen mit ihrer Ausbildung würde sie nicht dort vorne sitzen und gefeiert werden.
    Um sich abzulenken, versuchte er sein Glück noch einmal bei Risa, doch diese tauschte ihren Platz kurzerhand mit einer fetten Küchenmagd. Für einen Augenblick wandte er sich der Magd auf der anderen Seite zu. Doch diese unterhielt sich angeregt mit ihrem Nachbarn, einem muskulösen Stallburschen, und wandte ihm demonstrativ den Rücken zu. Es war ein hübscher Rücken, dessen sanfter Schwung die Spannung in seinen Lenden noch verstärkte. Er überlegte, wann er das letzte Mal eine Frau unter sich gehabt hatte, und fand, dass es jene entzückende kleine Kurtisane in Mantua gewesen war, die er in den letzten Wochen vor ihrer Abreise öfters besucht hatte. Hier in dieser elenden Burg waren die Frauen

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