Die Kastratin
Aufforderung nachzukommen.
Giulia hatte sich ein wenig gefasst und starrte nun mit geballten Fäusten auf die Kerle, die das Gepäck auf die Straße warfen und durchwühlten. Gewänder, die ihnen gefielen, wanderten in ihre Satteltaschen, ebenso wie der gesamte Schmuck und manche Börse, die die Reisenden in ihren Koffern und Mantelsäcken versteckt hatten. Da Giulia ihrem Vater bewusst einen Teil der Gagen vorenthalten hatte, lag eine hübsche Summe Geldes in ihrem Koffer. So wie es aussah, würde sie ihren kleinen Schatz hier verlieren, und damit rückte ihr Ziel, von ihrem Vater unabhängig zu werden, in weite Ferne.
Der falsche Edelmann kam mit einigen Spießgesellen auf ihren Wagen zu und deutete eine spöttische Verbeugung an. »Signori, ich sehe, dass Ihr viel zu schwer an der Last Eures Goldes tragt. Erlaubt uns, Euch davon zu befreien.«
Vincenzo knüpfte seufzend seinen Beutel los und warf ihn dem anderen vor die Füße. Noch nie hatte er so viel Geld auf einmal besessen wie jetzt, doch er tröstete sich damit, dass er jahrelang von der Hand in den Mund gelebt hatte. Ihm tat nur der junge Kastrat Leid, der eben mit beherrschter Miene seine eigene Börse den Räubern übergab. Assumpta und Beppo taten es ihm nach, während Girolamo Casamonte nichts bei sich hatte. Die Räuber warfen ihm höhnische Blicke zu, während einer von ihnen in die Kutsche stieg und kurz darauf mit der versteckten Börse wieder auftauchte.
Giulias Vater lief vor Wut rot an und fuchtelte hilflos mit den Händen. »Die Behörden des Heiligen Vaters werden Euch fangen und bestrafen.«
»Derzeit suchen uns die Soldaten einige Dutzend Meilen südlich von Rom. Bis sie hierher kommen, sind wir längst über alle Berge.« Ihr Anführer lachte schallend, während die übrigen Räuber das Gepäck durchsuchten und dabei allerlei üble Anspielungen auf das künftige Schicksal ihrer Opfer machten.
Giulia sah mit starrer Miene zu, wie ihre Kisten aufgebrochen und der Inhalt auf die Straße gekippt wurden. Mit schnellem Griff brachte der Anführer ihren kleinen Schatz an sich und wog ihn zufrieden in der Hand.
Inzwischen hatten andere Räuber damit begonnen, die Reisenden mit ihren Flinten vor sich her zu treiben, bis sie sich wie eine Herde Schafe vor dem Räuberhauptmann zusammendrängten. Der ließ sich einen Kristallkelch voll Wein aus einem der geplünderten Frachtwagen servieren und betrachtete die verängstigten Menschen vor sich mit der Miene eines Schlachters, der sich die fettesten Schafe aus einer Herde aussucht. Zwei seiner Männer holten einen Händler aus der Gruppe heraus und zwangen ihn unter dem Gelächter ihrer Kameraden, sich nackt auszuziehen. Einer der Räuber tippte das verschrumpelte Glied des Mannes mit der Spitze seines Schwertes an und tat so, als wolle er es ihm abschneiden.
Der Händler kreischte entsetzt auf. »Um des Himmels willen, nein! Gnade!«
»Der klingt ja schon wie ein Kastrat«, spottete einer der Räuber und lieferte seinem Anführer damit ein Stichwort. »Wir haben doch einen Kastraten gefangen. Was meint ihr, was das für einen Spaß gibt, ihn nackt durch das nächste Dorf zu treiben?«
Giulia zuckte zusammen und versuchte, sich in den Hintergrund zu schieben. Sie sah, wie Vincenzo die Fäuste ballte und Miene machte, sich zwischen sie und die Banditen zu werfen. Wenn die Räuber jedoch ernst machten, konnte auch er ihr nicht mehr helfen. Sie gab sich keinen Illusionen hin, was die Räuber mit ihr tun würden, wenn man sie als Frau entlarvte. Ein schneller Tod war gewiss gnädiger, als die Beute dieser Kerle zu werden. Ihre Hand griff an den Gürtel, doch sie fühlte nur die leere Scheide. Die Räuber hatten ihr das Messer abgenommen, mit dem sie unterwegs aß, und um sie herum besaß auch niemand mehr eine scharfe Klinge, mit der sie sich der Schande und dem Schmerz hätte entziehen können. »Na, wo ist denn dieser Casamonte?«, fragte der falsche Adlige lachend und hob den Weinkelch. »Komm her, du Nichtmann, und lass sehen, was das Messerchen des Barbiers aus dir gemacht hat.« Da wusste Giulia, wie sie dem bösen Spiel ein schnelles Ende bereiten konnte. Sie öffnete den Mund und stieß jenen hohen, reinen Ton aus, der Glas zerspringen ließ. Auch dieser Kelch hielt ihrer Stimme nicht stand. Er zerbarst und überschüttete den Mann mit einem Regen aus Wein und Scherben.
Der Räuber starrte sie so verdattert an, dass sie lachen musste. Jetzt würde er sie sofort umbringen lassen, hoffte sie.
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