Die Katastrophe
weil irgendwelche Geister von Indianerhäuptlingen sich an ihnen rächen wollen, sondern aus einem ganz einfachen Grund – sie haben die Sache nicht ernst genommen.«
Ruhig löste Ana den Helm von dem Riemen, mit dem sie ihn am Rucksack befestigt hatte, und setzte ihn auf. »Ihr seid wie sie.« Sie wandte sich um.
»Was haben sie nicht ernst genommen?«
Ana sah über die Schulter zurück. »Sie haben offenbar keinen einzigen Moment daran geglaubt, diese Umrisse könnten das Einzige sein, was je von ihnen übrig bleiben wird.«
Ein kalter Schauer lief Katie über den Rücken. Das Tosen des unterirdischen Flusses war noch immer verstummt und die Stille lastete plötzlich genauso auf ihr wie das Gewicht der Steine.
Ana hob die Hand. »Okay, zurück zur Tagesordnung. Wir müssen Julia einholen. Setzt eure Helme auf. Der Tunnel wird in ein paar Hundert Metern ziemlich ungemütlich. Macht euch darauf gefasst, dass es eng wird. Und seid vorsichtig! Eine falsche Bewegung und ihr löst einen Steinschlag aus. Außerdem wird der Stollen an manchen Stellen so niedrig, dass alle, die über 1,60 m groß sind, auf ihre wertvollen Köpfe aufpassen sollten. In Fields heißt es, auf das Grace gehen nur Genies. Ich weiß ja nicht, ob das wie im Football ist. Sind eure Gehirne auch in Millionenhöhe versichert?«
Niemand machte sich die Mühe einer Antwort. Anas Beschreibung hatte ihnen allen die Sprache verschlagen.
Die Bergführerin reichte Katie den Anfang eines Seiles und schlang das andere Ende um sich. »Wir halten uns einer nach dem anderen an dem Seil fest. Ich gehe voraus, Katie übernimmt die Nachhut. Und nur ich schalte meine Taschenlampe an. Denn offenbar denkt von euch keiner daran, dass wir Energie sparen sollten. Dort oben gibt es keinen Supermarkt, wo man Batterien kaufen kann.«
»Aber was ist mit Julia?«, erklang Davids Stimme. »Sie hat noch nicht einmal ihren Helm aufgesetzt.«
»Umso wichtiger, sie so schnell wie möglich einzuholen. Wenn ihr eure Hyperintelligenz einmal für die wirklich wichtigen Dinge benutzen würdet, anstatt hier unten herumzualbern, dann wäre euch allen klar gewesen, worauf ihr euch einlasst.«
»Julia!« Blanke Panik lag in Davids Stimme, als er losschrie. »He, Julia, komm zurück!«
»Verdammt, halt die Klappe!«, unterbrach ihn Ana ungeduldig. »Jedes laute Geräusch kann hier unten einen Steinschlag auslösen. Schon mal etwas von Schallwellen gehört?«
»Aber Julia, sie weiß nichts davon«, David gab nicht auf. »Sie hat doch keine Ahnung...«Er wirbelte zu Chris herum. »Wie konntest du nur? Hast du nicht gesagt, dass du auf sie aufpasst? Wenn ihr irgendetwas passiert, dann mache ich dich fertig.«
»Ach ja?« Chris blieb ganz ruhig. »Und du meinst nun, ich fürchte mich vor dir? So ein Weichei wie du ist mir noch nie begegnet. Glaubst du, ich merk das nicht, dass du in sie verknallt bist? Aber ich sag dir was! Julia will keinen Loser wie dich.«
Katie trat vor. »Was ist nur los mit euch?«, zischte sie. »Hier ist weder der richtige Ort, noch ist das die richtige Zeit für euer Macho-Gehabe! Hoffen wir einfach, dass Julia an der nächsten Biegung auf uns wartet.«
Schweigend setzten sie ihre Helme auf und nach und nach gingen die Taschenlampen aus.
Bevor Katie ihre Stirnlampe ausknipste, beugte sie sich zu Ana hinüber. »Warum, verdammt noch mal, hast du mir nicht vorher von diesem Tunnel erzählt?«
»Du hast mich nie gefragt.«
Ana hatte nicht übertrieben. Der Weg durch das vordere Stück des Stollens war ein Spaziergang gewesen. Was nun kam – das war die Hölle. Zumindest durchlitt Katie alle Qualen, die eine Hölle ausmachten, bis sie nur noch den verzweifelten Wunsch verspürte, diese Wände von sich wegzuschieben. Ja, ihre Panik fühlte sich so schrecklich an, dass sie für einen Moment tatsächlich glaubte, sie sei dazu in der Lage. Doch als ihre Hand nach rechts griff und den Felsen streifte, fasste sie in irgendetwas Weiches, sodass sie sofort zurückzuckte. Das war kein kalter Stein gewesen, den ihre Finger berührt hatten, sondern etwas anderes. Es hatte sich feucht angefühlt, als ob die Wand von Schlingpflanzen bewachsen sei, was natürlich unmöglich war, denn hier in diesen Tunnel gelangte kein Licht. Aber Moos und Algen konnten hier sehr wohl wachsen.
Sie kamen nur mühsam voran, was zum einen an der Dunkelheit lag, zum anderen daran, dass die Höhlendecke über ihnen immer niedriger wurde. Es genügte nun nicht mehr, den Kopf einzuziehen,
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