Die Katastrophe
Decke verschüttet hatten. Das Licht seiner Lampe flackerte im Takt seiner verzweifelten Versuche, sich einen Weg durch das Geröll zu bahnen.
»He, vorsichtig!«, hörte Katie Benjamin jammern, als sie über seine Beine kroch. »Wenn nur meine Kamera nichts abbekommen hat!«
»Scheiß auf dieses blöde Ding, du Idiot!«, zischte sie. »Keine Videotechnik auf dieser Welt ist so gut wie die Realität. Wenn du mit deinen eigenen Augen Julias Tod siehst, dann wirst du dein Leben lang keinem deiner Bilder mehr vertrauen, die du mit diesem Ding aufgenommen hast.«
»Wir hatten es fast geschafft«, erklang Anas klare Stimme in der Dunkelheit. »Vielleicht ist Julia schon draußen.«
»Vielleicht«, erwiderte Katie. »Vielleicht aber auch nicht.«
Lediglich ein leiser Aufschrei antwortete ihr.
»Was ist los? Ana? Alles okay?«
»Alles okay«, kam verzögert die Antwort.
Katie hatte keine Zeit, sich vom Gegenteil zu überzeugen. Sie fing an zu graben.
Hoffentlich ist Julia am Leben. Bitte, ihr darf nichts passiert sein.
Katie roch den Staub und den Moder und ihr Herz raste vor Anstrengung. Schweiß stand ihr auf der Stirn. Sie nahm einen Stein nach dem anderen und legte ihn zur Seite.
Herrgott, war das hier unten stickig. Und verflucht anstrengend. Sie spürte ihre Arme schon nicht mehr und ihre Finger schmerzten. Sie fühlte bereits Blasen an ihren Händen. Würden sie es überhaupt schaffen?
Das Atmen durch die Nase war unmöglich geworden, sie holte jetzt nur noch durch den Mund Luft.
War es nicht sinnlos, was sie hier machten? Sie hatten ja noch nicht einmal die leiseste Ahnung, was auf der anderen Seite war. Wie viele Steine mochten überhaupt heruntergekommen sein?
Ein dumpfes Rumpeln, das lauter wurde.
»He«, flüsterte David neben ihr. »Du musst vorsichtig sein. Nimm nur Steine von oben und nicht zu hastig. Was gerade passiert ist, kann wieder geschehen.«
Er schien sich beruhigt zu haben. Seine Stimme klang zumindest danach. War das nicht der Grund gewesen, weshalb sie unbedingt gewollt hatte, dass er mitkam? Seine Übersicht, seine Fähigkeit, einen klaren Kopf zu behalten. Obwohl er ganz offensichtlich vor Sorge um Julia verging, verströmte er wieder eine Ruhe, die sich auf sie übertrug. Ganz im Gegensatz zu Chris, der wie ein Wilder in den Steinen wühlte und dabei mehr Schaden anrichtete, als dass er wirklich vorankam.
»Wir müssen uns abwechseln«, hörte sie David sagen. »Hier ist nicht genügend Platz für uns alle.«
»Seit wann bestimmst du, wie das hier läuft?« Chris strahlte jetzt pure Aggression aus.
Katie packte der blanke Zorn. Er war schließlich derjenige, der die verhängnisvolle Kette in Gang gesetzt hatte. Er hatte dafür gesorgt, dass Julia einfach losgelaufen war.
»David hat recht«, mischte sich Ana ein. »Chris, was du da machst, hat keinen Sinn. Du übernimmst den Platz von Katie. Wir anderen bilden hinter euch eine Schlange und nehmen euch die Steine ab.«
»Ich gehe hier nicht weg . . .«, sträubte sich Katie, doch Ana unterbrach sie. »Wir wechseln uns ab, so sparen wir Kräfte. Also lass Chris nach vorne.«
Katie gab nach und kroch auf allen vieren zurück. Ana und Paul schoben sich an ihr vorbei und stapelten die Steine hinter sich.
Katie setzte sich neben Benjamin, der gegen die Tunnel-wand gelehnt dasaß, in der Hand die Taschenlampe, die einen fahlen Lichtstreifen auf die vier warf, die konzentriert ihre Arbeit verrichteten.
»Willst du nicht helfen?«
Benjamin lachte – ein schaurig schriller Ton in dieser muffigen Gruft.
»Irgendjemand«, sagte er, »muss sich ja um die Beleuchtungstechnik kümmern.«
»Hört ihr das?« Anas Stimme klang angespannt.
»Was?«, fragte Chris.
»Dieses Geräusch?«
»Ich höre nichts!«
»Stopp! Seid mal leise. Da ist etwas!«
Chris und David stellten die Arbeit ein und alle lauschten atemlos der Stille.
Katie schloss die Augen und konzentrierte sich.
»Da ist nichts«, hörte sie wieder Chris.
Katie nickte.
Doch dann flüsterte David. »Doch! Ana hat recht.«
»Was meinst du, wonach es klingt?«
Und nun hörte Katie es auch. »Da ist jemand auf der anderen Seite!« Sie erhob sich abrupt und stieß mit dem Kopf gegen die Decke. Staub rieselte herunter.
Julia!
Das konnte nur Julia sein!
17
H inter Julia stürzte die Welt ein.
Als die Steine herunterprasselten, hatte sie sich gerade noch unter einem Vorsprung in Sicherheit bringen können. Die Arme schützend über den Kopf gelegt, den sie zwischen
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