Die Katastrophe
gefunden?«
Mit einem schnellen Ruck zog Chris die Bierdose auf. »Nichts.«
David mischte sich ein. »Julia hat gesagt, sie hat alle Sachen aus ihrem Rucksack geräumt, bis auf die Steigeisen. Sie wird doch nicht versucht haben, alleine...«
»Vergiss nicht, sie arbeitet nicht nur als Bergführerin, sondern auch als Skilehrerin. Nie im Leben wäre sie so verrückt«, erwiderte Katie.
Konnte sie sich da sicher sein? Nein, wenn sie ehrlich war, kannte sie Ana genauso wenig wie die anderen. Sie dachte daran, wie sie mit völliger Selbstverständlichkeit davon ausgegangen war, dass Ana schon einmal hier oben gewesen war.
Andererseits – Ana hatte von Instinkt gesprochen.
Katie spürte einen kalten Luftzug in ihrem Rücken und wandte sich um. Als sie Pauls Silhouette in der Tür erkannte, drehte sie sich abrupt um.
Sie war drauf und dran, Benjamin doch noch um eine Dose Bier zu bitten, aber erstens war Alkohol bei ihr noch nie die Lösung gewesen und zweitens musste sie zumindest einen klaren Kopf bewahren, wenn es schon kein anderer tat.
Stattdessen ging sie zum Ofen und schenkte sich aus der Kaffeekanne eine Tasse ein.
Das Gebräu musste seit Stunden auf dem Herd stehen. Es war ungeheuer stark und schmeckte – scheußlich. Aber wenigstens war es noch leidlich warm. Gott, sie war so durchgefroren!
Sie hatte Paul ignoriert, doch sie spürte, wie seine Blicke sich förmlich in ihren Rücken bohrten. Mit zusammengebissenen Zähnen schob sie sich wieder auf die Bank und trank mit großen Schlucken die Tasse leer. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt und fast hätte sie begonnen, die Schneeflocken zu zählen, die immer mehr wurden, als würden sie noch im Herunterschweben geklont.
Das konnte ewig so weitergehen. Stunden. Tage. Vielleicht sogar eine Woche. Und ein Abstieg hinunter nach Fields würde bei dem Wetter mehr als beschwerlich werden – wenn er überhaupt möglich war. Und noch etwas fiel ihr ein: Ihr Verschwinden würde im College bemerkt werden. Das Wochenende, während die Gouverneurin im Tal war, würden Rose und Robert sie vielleicht noch decken können. Aber danach?
Dazu kam noch Debbie. Auf sie war nie Verlass – schon einmal war sie es gewesen, die eine verbotene Party beim Dean angezeigt hatte, um sich selbst in gutes Licht zu rücken.
Die Luft im Raum war zum Schneiden dick. David starrte trübsinnig auf die Treppe, doch Julia ließ sich nicht blicken. Chris hatte sein Pokerface aufgesetzt und nippte an seinem Bier und Paul hatte ihr den Rücken zugewandt und starrte auf die Karte, die vor ihm auf dem Tisch ausgebreitet lag.
Benjamin war der Einzige, der noch genügend Energie hatte. »Hey, Leute«, rief er, »wollt ihr einen Witz hören? Ein Bergführer führt eine Gruppe durch den dichten Bergwald der Rockies, den Weg haben sie schon vor Stunden verloren. Schließlich murrt die Gruppe und der Bergführer gibt zu, dass er sich verirrt hat. Einer aus der Gruppe fragt: ›Wie konnte Ihnen das passieren, Sie sind doch angeblich der beste Bergführer der USA?‹ – ›Ja‹‚ sagt der, ›aber wir sind inzwischen in Kanada!‹« Benjamin kicherte hysterisch und Chris murmelte: »Wenn wir wieder unten sind, schlag ich dich für Canadians got talent vor. Als Nachwuchs-Comedian der Extraklasse.«
Benjamin konnte sich immer noch nicht beruhigen. »Okay, der ist jetzt für Paul«, fuhr er fort. »Zwei Wanderer stehen vor einer Gletscherspalte. Sagt der eine: ›Letzte Woche ist hier mein Wanderführer reingefallen.‹ – ›Was, und da bleibst du so ruhig?‹ – ›Na ja, die neueste Auflage war es nicht und ein paar Seiten fehlten auch schon.‹«
Katie rollte genervt mit den Augen, doch einen Moment später hatte sie Benjamin vergessen.
Die Tür wurde aufgestoßen. Kalte Luft strömte in den Raum und der Wind wehte die Tür mit einem Schlag zu. Vor ihnen stand Ana. Ihre Kleidung war völlig durchnässt und sie sah total erschöpft aus.
Alle starrten sie an und jeder wartete auf irgendeine Begründung.
»Da ist sie ja wieder, die verlorene Tochter vom Stamm der Cree«, spottete Benjamin und die Kamera surrte.
Doch statt einer Erklärung sagte Ana nur: »Habe ich vielleicht Hunger. Habt ihr was gekocht?«
»Scheiße«, rief Chris. »Wo warst du?«
Doch er erhielt keine Antwort. Nicht einmal einen Blick warf Ana ihm zu. Stattdessen zog sie einen Stuhl an den Herd, nahm Platz und zog Schuhe und Strümpfe aus. Dann legte sie das rechte Bein auf das linke Knie und begann, ihren Fuß
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