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Die Katastrophe

Die Katastrophe

Titel: Die Katastrophe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krystyna Kuhn
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soll sie in dem Zustand da hinunterkommen?« Katie deutete nach unten. Der Felsgrat erschien von hier oben noch schmaler und steiler als beim Aufstieg. Ihr Blick ging zu Ana zurück, die leichenblass an der Felswand lehnte.
    »Du und ich, Katie. Wir beide, wir schaffen sie da hinunter.«
    Schneller, als Katie gedacht hatte, waren die anderen bei ihnen.
    »Was ist mit ihr?«, fragte Julia. Offensichtlich hatte sie akzeptiert, dass sie vorzeitig absteigen mussten, sie war jetzt nur noch besorgt.
    »Nichts Schlimmes«, erklärte David betont beiläufig. »nichts, wogegen Aspirin nicht helfen könnte.«
    Seelenruhig verpackte er die Medikamente in dem roten Erste-Hilfe-Beutel.
    Chris musterte Ana misstrauisch. »Willst du uns verarschen, David? Ana sieht aus, als ob sie jeden Moment in Ohnmacht fällt. Sie von hier oben runterzuschaffen, könnte für uns alle gefährlich werden.«
    Katie spürte, wie Paul sich neben sie schob. Seine Stimme klang völlig emotionslos, als er sagte: »Du vergisst eines, Chris. Ana ist eine Einheimische. Ihr Großvater hat jahrelang die Mounties geleitet. Sie würde diesen Berg noch runterkommen, wenn dein Arsch schon lange keine Haut mehr hat, weil du vor Schiss auf dem Hosenboden runtergerutscht bist.«
    »Und das war der O-Ton von Mr Paul Forster Junior. Mr Forster, was würde Ihr Vater sagen, wenn er Sie so reden hörte?«, spottete Benjamin. »Würde er Sie hängen? Vierteilen? Als Strafe für...«
    »Halt die Klappe!«
    Julia, David und Katie sagten es gleichzeitig.
    »Apropos Klappe!« Die Kamera schwenkte auf Ana, die sich mühsam aufrichtete und mit der linken Hand am Felsen abstützte. »Meine Damen und Herren, Ana Cree, die Expeditionsleiterin.« Und dann: »Oh Mann, Shit, du siehst echt scheiße aus, weißt du das?«

    Ana hielt durch.
    Katie übernahm die Führung, Ana im Schlepptau, die von David gestützt wurde. Sie gingen als Dreierseilschaft dicht hintereinander, das aufgerollte Seil in den Händen, um einen Sturz abfangen zu können. Immer wieder musste David Ana helfen, weil sie Probleme hatte, das Gleichgewicht zu halten, und mehr als einmal gefährlich dem Abgrund entgegentaumelte.
    Katie registrierte, dass David stets darum bemüht war, dass die anderen so wenig wie möglich mitbekamen, wie schlecht es Ana wirklich ging. Obwohl seine Erste-Hilfe-Maßnahmen langsam anfingen, Wirkung zu zeigen. Das Mädchen sah zunehmend besser aus.
    Sie sprachen selten miteinander, konzentrierten sich ganz und gar darauf, das Tempo zu forcieren und gleichzeitig Ana nach unten zu schaffen. Es war mühsam, zermürbend und alle Nerven lagen blank, als sie endlich den Gletscher erreicht hatten.
    Die Nachmittagssonne überflutete das riesige Eisfeld, das sie heute bereits einmal überquert hatten und das sie nun zum zweiten Mal hinter sich bringen mussten.
    Am Einstieg angelangt, ließ sich einer nach dem anderen erschöpft fallen und streifte die Rucksäcke ab. Nur David blieb stehen und starrte besorgt in Richtung der Gletscherspalte.
    »Macht es euch nicht zu gemütlich«, rief er und reichte Ana eine Flasche Wasser.
    »Seit wann gibst du die Anweisungen?«, protestierte Chris. »Hast du dich selbst zu unserem Bergführer ernannt? Haben wir keine Demokratie mehr?«
    »Ich war noch nie für Demokratie«, mischte sich Benjamin ein. »Demokratie bedeutet, dass Loser Loser wählen. Ich bin Anarchist.«
    »Loser?« Chris hob die Hände. »Bin ich ein Loser?«
    »Seit wann stehst du zur Wahl?«, fragte David.
    »Schafft es Ana überhaupt über die Gletscherspalte?« Paul tauchte wieder einmal urplötzlich neben Katie auf. Diese Fähigkeit, sich unsichtbar zu machen, um dann plötzlich wie ein Geist neben ihr zu stehen, war wirklich erstaunlich.
    Besorgt sah er zu Ana hinüber, die am Felsen lehnte und die Augen geschlossen hatte.
    »Keine Ahnung. Sie reißt sich wirklich zusammen, aber ein Sprung über die Spalte...« Katie schüttelte den Kopf.
    »Vielleicht können wir die Spalte doch umgehen.«
    Katie schüttelte den Kopf. »Das kostet zu viel Zeit. Und die Kraft dazu wird sie auch nicht haben.«
    Paul nickte. »Du hast recht.«
    »Kannst du mir mal helfen, Paul?«, rief Julia. »Mein Karabiner klemmt.«
    Während Paul zu Julia hinüberging, schweifte Katies Blick zurück zum Gipfel des Ghost und versuchte, das Gefühl der Beunruhigung zu unterdrücken. Sie hatte den Gipfel bezwungen – ihr Ziel erreicht. Und doch war sie keinen Schritt weitergekommen, was das Geheimnis ihrer Mutter anging.

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