Die Katastrophe
Schweigen gebracht hatte.
Schließlich wandte sich Katie um.
»David?«, fragte sie.
Auch er zögerte.
Katie sprach es nicht aus, aber sie wiederholte im Innern immer wieder die Bitte:
Lass mich nicht im Stich, David. Lass mich nicht im Stich.
David ließ sie nicht im Stich. Er nickte.
»Ich helfe dir auch!« Paul sah Katie in die Augen. Er tut es für dich, dachte sie. Nur für dich. Er hat wegen eines Mädchens getötet und er macht das hier wegen eines Mädchens. Er hat keine Moral. Im Grunde genommen handelt er nur aus eigenem Interesse. Aber – für diesen Moment spielte das keine Rolle. Alles, was jetzt zählte, waren Verbündete.
»Was ist mit euch da drüben?« Katie hörte selbst, dass die Verzweiflung aus ihrer Stimme verschwunden war. Stattdessen legte sie alle Arroganz und Verachtung, die sie aufbringen konnte, in ihre Worte.
Chris schüttelte den Kopf. »Verzichte. Ich sehe doch nicht zu, wie du hier deinen eigenen Selbstmord inszenierst. Wenn David und Paul miterleben wollen, wie du und Ana draufgehen – bitte, können Sie haben. Aber ich hau ab. Und Julia kommt mit.«
»Kann Julia nicht für sich selbst entscheiden?«, brüllte Katie gegen den Wind an.
Ihr Blick suchte den von Julia und sie sah fassungslos, wie ihre Freundin zögerte. »Katie. Es ist schon nach drei Uhr«, rief sie. »Wenn du es wirklich schaffst, sie hochzuziehen, müssen wir noch über den Gletscher zurück. Und wer weiß, in was für einem Zustand Ana ist. Ich bin dafür, so schnell wie möglich abzusteigen und professionelle Hilfe zu holen. Alles andere wäre wirklich Selbstmord!«
Katie war fassungslos. »Hilfe kommt frühestens morgen hier rauf! Das weißt du genau. Dann könnte es für Ana längst zu spät sein!«
»Also riskierst du lieber unser aller Leben?«, fauchte Chris. »Die Nacht hier oben kommt schneller, als du denkst. Und sie ist vermutlich auch sehr viel kälter, als du es dir vorstellen kannst. Wir haben noch nicht einmal ein Biwakzelt dabei. Was, wenn es wieder anfängt zu schneien? Dann erfrieren wir hier alle!«
»Und was, wenn die Welt untergeht? Was, Christopher Bishop, wenn unter deinen Füßen sich die Erde teilt und du einfach nur zur Hölle fährst?« Katie hörte, wie ihre Stimme sich überschlug. »Weißt du, was du bist, Christopher Bishop? Ein riesengroßes Arschloch.«
Chris zuckte mit den Schultern. »Dann bin ich das halt. Aber ich gehe.« Er wandte sich um. »Ben, kommst du mit?«
Benjamin zögerte. Eine Sekunde. Zwei. »Chris hat recht«, sagte er. »Und hey, Ana hat es doch herausgefordert. So wie die sich vorhin aufgeführt hat!«
Katie schnaubte. Sie konnte nicht fassen, wie sich die Jungen verhielten.
»Was ist mit einem Hubschrauber?«, rief Julia verzweifelt. »Wir könnten versuchen, die Bergwacht in Fields zu benachrichtigen.«
»Das Handy funktioniert hier genauso wenig wie auf der Hütte.« Das kam von David.
»Versuch es doch wenigstens.«
»Habe ich schon.«
Katie griff nach dem Seil. »Ach, scheiß auf euch alle! Nicht einmal, wenn ich alleine wäre, würde ich Ana im Stich lassen. Wir haben schon viel zu viel Zeit mit Reden vergeudet.«
Sie trat an den Rand der Gletscherspalte und starrte nach unten. Sie bildete sich ein, eine dunkle Silhouette am Grund zu erkennen, aber das konnte auch ein Schatten sein.
»Ana?«
Stille antwortete ihr.
»Ana, hörst du mich?«
Ein beißender Windstoß blies vom Ghost herunter, fuhr Katie durchs Haar und erstickte alle Geräusche.
Sie sah hoch.
Fünf Gesichter starrten Katie an, verkniffen vor Kälte und extremer Anspannung.
Dann griff Chris nach Julias Hand. »Komm schon«, sagte er. »Wir gehen.«
Julias Blick schweifte zu Katie. Für einen langen Moment hielt sie ihn fest, doch dann senkte sie den Kopf.
Ohne noch einmal hochzuschauen, rief sie über die Spalte: »Wir holen Hilfe, Katie. Okay?«
Dann drehte sie sich um und folgte den beiden Jungen nach.
»Also, los geht’s!« Katie zog ihren Rucksack zu sich heran. Ihre Hände zitterten, genau wie ihre Stimme, aber sie hatte sich sofort wieder unter Kontrolle. Sie würde sich nicht anmerken lassen, wie sehr Julias Verrat sie traf. »Irgendwo habe ich Eisschrauben. Zusammen mit dem Pickel und einem Rucksack bauen wir einen Standplatz. Ich seile mich ab, so weit das Seil reicht und dann springe ich.«
»Und was ist mit dem Rückweg?«, fragte David. »Wie kommst du an das Seilende, wenn es zu kurz sein sollte?«
Katie gab keine Antwort. Stattdessen starrte sie
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