Die Katastrophen-Welt
ich in der Schule gelernt und später darüber gelesen hatte. »Ein paar Millionen Jahre, nimmt man an. Einige Theoretiker sind eher für ein paar hunderttausend Jahre, und manche glauben, nur zehn- bis zwanzigtausend Jahre. Aber von dem, was du mir gezeigt hast – Mammuts und Höhlenmenschen ... Und wenn die Katze kein Säbelzahntiger war, verschenke ich mein Pfadfinderabzeichen ... Hunderttausend Jahre würde ich auf jeden Fall sagen.«
»Was ist hunditausen?«
Ich brauchte Minuten, bis ich ihr unser Zahlensystem klargemacht hatte. Sie starrte auf ihre Hände, und dicke Tränen perlten über ihre Wangen. Sie wischte sie ungeduldig fort. »Tausend, hunderttausend, ist gleich. Alle tot.«
»Das waren deine Vorfahren?«
»Nein.« Sie schüttelte heftig den Kopf. »Mein Volk, meine Stadt, Ulmoc. Ich reiten Holgotha, ich spazieren mit – Tiger.«
Ich schüttelte fast ungläubig den Kopf. »Wie?«
»Hier, Mal.« Sie deutete auf ihr Schlafzimmer. »Lange schlafen. Dort ist ...« Sie machte ein paar glättende Bewegungen. »... Dach. Atmen«, sie atmete tief. »Schlaf-Luft. Komm, zeigen ...«
Ich folgte ihr ins Schlafzimmer. Sie berührte eine Stelle an der Wand, die für mich auch nicht anders aussah als der Rest, aber ein sarkophagähnliches Ding schob sich heraus. Ein grauer Stahldeckel war aufgeklappt, zu dem aus dem Innern eine Zahl von Röhren führten.
»Liegen hier, Mal. Dach kommen herunter. Schlaf-Luft innen, kalt, kalt. Schlafen lange.«
»Aber – warum?«
Sie sah zerknirscht aus. »Schlimme Zeit kommen, Mal. Himmel nicht mehr blau, schwarz jetzt. Sonne rot. Erde beben. Eis kommen von Himmel, viele Tage, tausend Tage. Mein ...« Sie schüttelte den Kopf. »Zu viele Wort, nein, Mal. Du warten, mir lernen mehr ...«
»Nur weiter, Mädchen. Du machst deine Sache recht gut. Dein was?«
»Mann, Frau, alt – ich.« Sie deutete auf ihre Brust. Ich blickte sie verständnislos an. »Mach trotzdem weiter.«
»Mein – alter Mann. Bringen mich hier ...«
Ich grinste trotz meiner Aufregung. »Dein Vater.«
»Vater«, wiederholte sie. »Viele Leute gehen auf Schiff, tausend Schiff. Aber mein Vater, nein. Er Angst – um mich. Ich müssen schlafen, warten. Ich müssen, Mal. Wir Abschied nehmen. Ich liegen hier. Dunkelheit kommen.«
»Ich kann ihn verstehen. Mit diesen Booten wäre ich auch nicht in See gestochen.«
»Haben mehr Schiff, Mal. Groß, groß. Aber viel schlecht Dinge, ander Land, Holgotha, Otucca, Tiermann. Er Angst um mich, Mal.«
»So, du sagtest also deiner Familie Lebwohl und – bist gestorben.« Ich stellte mir vor, wie sie in der Dunkelheit und Kälte ruhte, während neue Zivilisationen auferstanden und wieder untergingen, und das Eis sich immer mehr über ihr auftürmte.
»Nicht gestorben, Mal. Weiterleben und – aufwachen.«
»Und dann?«
»Ich glauben, Vater bald kommen. Viel krank, Mal. Lange Zeit hier, so krank. Langer Schlaf nicht gut. Aber Haus gut, helfen mir. Sagen mir, was tun ...«
»Das Haus sagt dir, was du tun sollst?«
»Ja, Haus. Viel weise, wissen alles. Sagen mir, tu das, ich tun, bald gesund. Aber Vater ...«
»Ich fürchte, ich verstehe nicht mehr ganz.«
»Komm.« Sie führte mich zur Bibliothek zurück, zu der kleinen Nische in einer Seite, mit dem Stuhl davor. Sie ließ sich darauf nieder und drückte ihre Handflächen auf die herausklappbare Tischplatte.
»Iklathu ottraha oppacu madhali att«, sagte sie, zumindest hörte es sich so an.
»Optu; imruhalo soronith tatrac ...«, erklang eine hohle monotone Stimme. Sie fuhr fort, Worte herunterzuleiern. Als sie schwieg, sagte Ricia, »accu«, und stand auf.
»Du sehen? Haus sagen, Eis fallen oben, morgen wärmer. Es werden Wasser.«
»Ist das eine Art automatisches Wettervorhersagegerät?«
»Haus wissen alles, Mal. Nicht Haus hier – großes Haus – dort.« Sie deutete.
»Ah, es hängt an einer anderen Maschine. So etwas wie ein Abrufinformationsdienst?«
»Nicht so viele Wort, Mal. Du sehen, nicht sprechen, jetzt.«
»Was hat dich aufgeweckt?« fragte ich.
»Eis gehen, machen Wasser, oben.« Diesmal deutete sie an die Decke.
»Das Eis schmolz und die – Maschinerie – war so eingestellt, daß sie dich aufwecken sollte, wenn das Eis auftaute?«
»Vielleicht, Mal.« Sie wußte es nicht.
»Achte nicht auf mich, Mädchen. Ich rede nur, um mich selbst denken zu hören. Wie dem auch war, du bist aufgewacht, warst krank, hast dich aber wieder erholt. Was dann?«
»Ich müssen gehen, finden Vater.
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