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Die Kathedrale der Ketzerin

Die Kathedrale der Ketzerin

Titel: Die Kathedrale der Ketzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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verheimlichen war?
    Sie konnte nicht einfach erklären, Graf Raimund, den Vater ihres
noch ungeborenen Kindes, heiraten zu wollen. Er war schließlich noch gebunden,
auch wenn seine ihm entfremdete Gemahlin Sancha weit entfernt von ihm weilte.
Jeder würde sich nach der Geburt des Kindes ausrechnen können, dass die Kirche
einen Ehebrecher in ihren Schoß aufgenommen hatte. Man würde die Königin eine
Hure nennen.
    Blanka barg ihr Gesicht in den Händen. Die Folgen für sie, ihre Familie
und die Krone waren nicht auszudenken!
    Ihre Feinde würden die Vaterschaft Graf Theobald anhängen und
letztendlich das Volk, das der Königin so herzlich zugetan war, gegen sie
aufbringen. Warum hatte sie das zuvor nicht bedacht?
    Weil ich nie erwartet hatte, mit knapp über vierzig noch einmal
Mutter zu werden, gestand sich Blanka ein. Und weil mir die Vorstellung überaus
absurd erschien, irgendjemand könnte glauben, der dicke Theobald sei
tatsächlich mein Liebhaber. Und weil mir die Liebe zu Raimund den Verstand
geraubt hat.
    Sie brauchte Hilfe. In dieser Angelegenheit gab es nur einen
Menschen, dem sie sich anvertrauen und der sie beraten konnte.
    Königin Ingeborg zeigte sich hocherfreut, ihre künftige
Enkelin Johanna kennenzulernen. Sie empfing Blanka und das Kind in ihrem
Lieblingsgemach, einer kleinen Kammer, die bis auf ein kostbares rotes Tuch an
der Nordwand karg ausgestattet war.
    »Es ist, als wäre die Zeit zurückgedreht worden«, bemerkte sie
nachdenklich, als Johanna aus dem Gemach geführt wurde, um das Tiergehege zu
besichtigen, das die Witwe König Philipps nahe ihrer Burg hatte einrichten
lassen und dessen Prunkstück, ein großer brauner Bär, nie verfehlte, Kinder zu
erschrecken und zu begeistern. »Als wärest du wieder mit der kleinen Clara zu mir
gekommen. Die hat dir damals ein wenig Trost verschafft. Du warst so unendlich
traurig.«
    Sie musterte Blanka nachdenklich und setzte hinzu: »Es ist immer
furchtbar, ein Kind zu verlieren, aber gleich zwei, so kurz nacheinander!«
    »Und jetzt erwarte ich wieder eins«, brachte Blanka hervor und brach
in Tränen aus. »Was soll ich nur tun?«
    Der Aufforderung Königin Ingeborgs, ihr alles zu erzählen, kam sie
ohne Umschweife nach und schloss wieder mit der Frage, was sie denn um Gottes
willen tun solle.
    Die ältere Frau deutete zur Tür des Nachbargemachs.
    »Dort steht eine Schüssel mit
frischem sauberem Wasser. Geh dir erst einmal dein Gesicht waschen«,
empfahl sie freundlich.
    Als Blanka den Raum verlassen hatte, hob Ingeborg das kostbare Tuch
von der Nordwand und enthüllte eine dahinter verborgene Mauernische, in der ein
hölzerner Kasten ruhte. Sie öffnete ihn mit dem Schlüssel, den sie unter ihrem
Gewand an einer Kette trug, und entnahm ihm eine kleine Phiole. In aller Ruhe
schüttete sie etwas Pulver in Blankas Wein und rührte es mit dem Zeigefinger
um.
    »Was soll ich nur tun?«, klagte Blanka zum dritten Mal, als sie
die Kammer wieder betrat, ihren Weinkelch hob und an den Mund setzte.
    »Nichts«, antwortete Königin Ingeborg freundlich. »Die Wolken ziehen
auch vorbei, ohne dass man sie anstößt. Das meiste im Leben klärt sich von
selbst.«
    Oder mithilfe anderer, setzte sie für sich hinzu.
    Das Werk ihres geliebten Königs Philipp durfte nicht durch eine
folgenreiche Wallung seiner Schwiegertochter bedroht werden.
    Weiteres konnte nicht beredet werden, da die Tür aufflog und eine
weinende Johanna hereinstürmte.
    »Warum nur habt Ihr dem armen Bären Ketten angelegt?«, klagte sie
ihre künftige Großmutter an. »Warum habt Ihr ihn nicht im Wald gelassen, wo er
zu Hause bei den Seinen ist und sich wohlfühlt?«
    Aller Augen waren am Gründonnerstag auf Graf Raimund
gerichtet, der in Beinkleidern und Büßerhemd durch das Tor von Notre-Dame trat.
Die Kathedrale, an der immer noch gebaut wurde, war zwar noch nicht offiziell
geweiht worden, aber die Bischöfe hatten das Gebäude zu einem Zweck ausreichend
gesegnet: Die Kirche würde den verlorenen Sohn wieder einmal aufnehmen. Daran
waren die Grafen von Toulouse gewöhnt.
    Blanka wandte den Blick ab. Derart entkleidet mochte sie den Geliebten
nicht vor anderen betrachten. Sie sah zum Grafen von Champagne hinüber, der wie
alle anderen königstreuen Barone zu diesem wichtigen Ereignis erschienen war.
Er trug ein recht zufriedenes Lächeln zur Schau, fand sie, aber diesmal
durchaus zu Recht. Ehre, wem Ehre gebührt. Er hatte einen wahrhaft vollkommenen
Vertrag aufgesetzt, der beiden

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