Die Kathedrale der Ketzerin
Beichte an ihn reinigen könne. Und anders als die armen Ritter vom
Tempel Salomons zu Jerusalem, von denen so viel geflüstert wurde, hielten sie
ganz und gar nichts von Reliquien. Dem Gerücht, Ketzer hüteten in einer
Schatzkammer auf dem Montségur den Heiligen Gral, jene Schale, aus der Jesus beim
letzten Abendmahl den Wein getrunken habe, wäre jeder Katharer gern
entgegengetreten, wenn er denn in der Öffentlichkeit hätte reden können.
Keiner, der die guten Menschen wirklich kannte, wäre auf den Gedanken gekommen,
dass sie einem leblosen Gegenstand auch nur den Hauch einer Verehrung
entgegenbringen könnten.
»Jesus?«, stieß Blanka aus.
Sie scheuchte mit einer Handbewegung die Kammerfrau zur Seite,
beugte sich vor und sah zu Clara, die sich jetzt Pfirsichkernöl auf die Wangen
rieb und so den Blick der Freundin meiden konnte.
»Lass das!«
Clara ließ die Hand sinken. Eine Magd nahm ihr das Tuch von den
Haaren, die pechschwarz herabfielen und Schatten auf ihr leicht gerötetes
Gesicht warfen. Blanka sah ihr tief in die Augen und vermeinte in deren Glanz
die gleiche religiöse Begeisterung zu lesen, die sie bei der einzigen
Zisterzienserin, die sie kannte, erlebt hatte.
»Liebe Freundin, erwägst du tatsächlich, den Schleier zu nehmen?«
Clara atmete tief durch.
Sie war noch einmal davongekommen. Und Felizian auch.
»Ich beschäftige mich derzeit sehr mit Fragen des Glaubens«, sagte
sie sachlich.
»Das tun wir alle«, entgegnete Blanka nachdenklich. Mit einem Nicken
forderte sie die Kammerfrau auf, weiter an ihrem Schopf zu arbeiten. »Zumal
Papst Honorius doch jetzt die Regel der neuen Bruderschaft, die dritte
endgültige Ordnung der Franziskaner, bestätigt hat. Ich würde diesen Franziskus
von Assisi gern einmal kennenlernen. Weißt du, dass seine Mutter Französin war
und sein Vater ein reicher Tuchhändler? Der sogar am Hof meines Vaters
empfangen worden war, wie ich mich entsinne. Und doch entsagt sein Sohn aus
Liebe zum Herrn jeglichen Besitzes, pflegt Aussätzige außerhalb der Stadtmauern
und verkündet das Evangelium. Ich glaube, er ist ein Heiliger, der auf Erden
wandelt, der das Licht des Herrn gesehen hat. Der Jesu in seinen Taten
nachfolgt. Ich habe ein Lied von ihm gelesen, in dem er die Armut seine Herrin
nennt. Das gefällt mir.«
Clara entfuhr ein Schrei, da die Magd mit Blankas goldenem Kamm sehr
heftig an ihren Haaren gezupft hatte.
»Sagt dir das etwa nicht zu?«, fragte Blanka überrascht. »Der Rest
deiner Familie im Süden denkt darüber bestimmt ähnlich. Den häretischen
Katharern kann man bestimmt viel Böses nachsagen, aber nicht, dass sie den
Reichtum lieben – obwohl sie diesen angeblich für andere horten. Ungeheure
Schätze, die vermutlich der Krone zustehen und für die sie keine Abgaben
zahlen.«
»Meine Leute sind keine Ketzer«, erwiderte Clara, froh, dem Thema
über den Mann in ihrem Leben entkommen zu sein. »Sie sind genauso fromm und
gottesfürchtig wie wir. Das solltest du wissen, zumal mein Bruder Raimund ja
auch mit dir eng verwandt ist.«
»Ja«, sagte Blanka, während sie den Kopf weit zurücklegte, damit ihr
Haar in den Zuber reichte. »Seine und meine Mutter waren Schwestern, beide Töchter
der Eleonore von Aquitanien, unserer Großmutter. Aber ihn hat erst seine
Erziehung in England und dann sein Umgang mit den Ketzern verdorben.«
»Niemand ist weniger verderbt als Raimund!«, widersprach Clara
heftig. »Du solltest ihn kennenlernen, Blanka. An deinem Hof bin ich noch
keinem edleren und liebenswürdigeren Mann begegnet – von Ludwig natürlich
abgesehen«, setzte sie hastig hinzu.
Während Kanne um Kanne warmen, mit Kamillensud versetzten Wassers
die fettige Schicht von Blankas Haaren abspülte, sprach Clara weiter: »Und
Raimund wurde zu Unrecht exkommuniziert! Der Heilige Vater sollte einsehen,
dass mein Bruder kein Häretiker ist, was immer das denn auch sein soll. Blanka,
ich flehe dich an, wirke auf Ludwig ein, dass er Raimund gegen den Papst in
Schutz nimmt! Und so traurig ich über den Tod meines Vaters bin, so froh bin
ich auch, dass jetzt mein Bruder Okzitanien anführt. Du wirst ihm bestimmt
einmal begegnen, Blanka, und dann wirst du selbst erkennen, wie sehr er dir
ähnelt. Wie vornehm, edel, aufrecht und wahrhaftig er ist. Und wie schön.«
Da war sie wieder, die Schönheit, die äußere Hülle. Satans Werk, wie
Felizian sagte. Aber hätte er selbst sich ihrer so liebevoll angenommen, wenn
sie kleinwüchsig, fettleibig oder
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