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Die Kathedrale der Ketzerin

Die Kathedrale der Ketzerin

Titel: Die Kathedrale der Ketzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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Seelen der Menschen aus der Gefangenschaft
ihrer Leiber zu erretten und zurück in den Himmel zu führen. Er habe aber auch
gewusst, dass er nicht alle würde erretten können, wie man auch nachlesen
könne. So stehe bei Matthäus geschrieben: Denn ich bin gekommen, um den Sohn mit
seinem Vater zu entzweien. Jeder müsse sich selbst für Jesus
entscheiden, oder in der teuflischen Welt zurückbleiben.
    Deshalb habe dieser Engel, der vermutlich niemals wirklich aß,
trank, litt, starb und begraben ward, im Kampf mit Satan sein Ziel nicht
gänzlich erreicht, aber sein Beispiel habe einen Weg zum Heil, zur Erlösung,
gezeigt. Folge man ihm, sei einem das Himmelreich sicher.
    »Dein Erbsenbrei muss runter«, brach Blankas Stimme in Claras
Gedanken ein. »Jetzt kommt das Schlimmste dran, unsere Haare.«
    In der Tat. Es würde Stunden dauern, die hüftlangen Haare von der
Mischung aus Olivenöl, Honig, Alaun und Quecksilber zu befreien, in die sie
seit vielen Stunden eingepackt waren. Mehrere Mägde hatten bereits reichlich
Zuber heißen Wassers in die Kammer geschleppt, in der sich Blanka darauf
vorbereitete, am nächsten Tag als strahlende Schönheit gekrönt zu werden. Sie
hatte Clara aufgefordert, ihr bei all diesen Ritualen Gesellschaft zu leisten,
da sie sich dabei sonst zu Tode langweilen würde.
    Wo stand eigentlich geschrieben, die vornehmste Eigenschaft einer
Königin bestünde darin, schön zu sein, ging Clara durch den Kopf. Natürlich im
Alten Testament.
    Dauernd war dort von wunderschönen Königinnen die Rede, als ob dies
eine erstrebenswerte Eigenschaft wäre. Aber was hatte Schönheit damit zu tun,
ein guter oder gottesfürchtiger Mensch zu sein? Was brachte die Schönheit
einer Königin ihrem Volk? Wurde es dadurch etwa von irgendeiner Not erlöst?
Wohl kaum, aber angesichts solch atemberaubend geschmückter Hülle vergaß es
vielleicht kurzzeitig Kummer und Not. Und strebt somit nicht mehr nach
Erlösung, dachte Clara.
    Sie erschrak, sich diesen klitzekleinen ketzerischen Gedanken
erlaubt zu haben. Felizians Verachtung angesichts solchen Aufwandes im Dienste
der satanischen Äußerlichkeit wollte sie sich gar nicht erst ausmalen. Nun, er
musste ja nicht davon erfahren, dass ein ganzer Tag in ihrem Leben
ausschließlich dem Putz gewidmet war. Zur Unterhaltung ihrer Königin, die qua
Amt dazu verpflichtet war, das Volk am nächsten Tag mit solch mühsam
erarbeiteter Schönheit zu blenden.
    »Aber es gibt ganz gewiss einen Mann in deinem Leben«, fuhr Blanka
fort, während die Kammerfrau ihr das Tuch vom Kopf nahm und mit einem
grobzinkigen goldenen Kamm die dunkel gewordenen hellbraunen Haare auskämmte.
    Clara nahm den Schwamm vom Gesicht. Er duftete nach Zitrone und
Lavendel, nach Bäumen und Feldern ihrer frühsten Kindheit, vielleicht nach der
Mutter, die sie nie gekannt hatte.
    »Ja«, hörte sie sich murmeln und verfluchte im selben Augenblick das
tiefe Verlangen, sich ihrer geliebten Blanka offenbaren zu wollen. Wie schön
wäre es, ihr einfach die Wahrheit sagen zu können! Dass es einen Mann gab,
den sie sehr verehrte, weil er rein, klug, wahrhaftig und – ja, das auch –
schön war. Weil er aus dem Süden stammte und sie an ihre Wurzeln erinnerte.
Weil er ihr in einer Stunde der Verzweiflung beigestanden hatte. Weil er sie
auf sanfte Weise zwang, über Gott und die Welt nachzudenken und nicht dann
damit aufzuhören, wenn es unbequem wurde. Weil er ihre Seele liebte und sie
spürte, dass Felizian zu ihr gehörte wie ihr rechter Arm. Weil er ihr hier in
Reims entsetzlich fehlte und sie nichts lieber wollte, als seinen Namen
auszusprechen.
    Aber den durfte sie ebenso wenig preisgeben wie alles andere, was
sie mit den Katharern verband und an sie band, denn Blanka war nicht nur ihre
Wahlmutter, sondern auch eine der mächtigsten und frommsten Frauen der Welt.
Die keine Geheimnisse vor ihrem Mann hatte, der gegen ebendiesen Mann, der in
Claras Leben war, zu Claras Leben geworden war, Kreuzzüge führte und seine
Vernichtung anstrebte. Von Felizian sprechen hieße, ihn zu töten.
    »Jesus«, sagte Clara kurz. Gelogen war das nicht. Zu ihrem Erstaunen
hatte Clara erfahren, dass sich die Katharer, ganz im Gegensatz zur römischen
Kirche, auf ihren Versammlungen über die Person Jesu uneins waren. War er nun
ein Engel oder tatsächlich Gottes Sohn?
    Die guten Menschen waren sich allerdings darin einig, dass er am
Kreuz nicht für aller Sünden gebüßt habe und sich niemand von eigenen Sünden
durch eine

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