Die Kathedrale der Ketzerin
elendigen, heimtückischen, verfluchten Häretiker dich
ihnen vorgeworfen haben wie früher die Römer die Christen den Löwen!«
Clara schwieg, bis sie wieder aufrecht saß und ihr die Magd ein
frisches Tuch um den Kopf gewickelt hatte. Während die Kammerfrau Blankas Ohren
reinigte, flüsterte sie: »Es war alles ganz anders.«
Die Königin konnte sie aufgrund des Gewühles in ihrer Ohrmuschel
zwar nicht gehört haben, aber zumindest hatte Clara ihr Gewissen etwas
beruhigt.
Zu ihrer Erleichterung kam Blanka nicht wieder auf die Ketzer oder
Claras möglichen Liebhaber zu sprechen; auch nicht, als sie später im
Nebenzimmer mit dem Rücken zum Kamin saßen, der trotz des sehr warmen
Sommerabends geheizt worden war. Schließlich gab es keine andere Möglichkeit,
die langen Haare noch vor dem Zubettgehen ausreichend zu trocknen. Die beiden
Frauen unterhielten sich über Belangloses, bis Blanka wieder etwas sagte, was
Claras Fassung bedrohte: »Kannst du morgen dafür sorgen, dass mir Graf
Theobald nicht zu nahe kommt?«
Langjährige Gewohnheiten sind zäh; Clara musste ihr plötzlich wieder
heftig pochendes Herz erneut überzeugen, dass die alte Liebe längst erstorben
war.
»Darf er denn überhaupt zur Krönung erscheinen?«, fragte sie,
froh, sich Überraschung anmerken lassen zu dürfen. Dass Theobald in Ungnade
gefallen war, wusste jeder am Hof, auch wenn keiner dafür den Grund kannte.
Gerüchte machten zuhauf die Runde. Es gab Gemunkel, er habe der
Königin Hofdame Agnes von Beaujeu verführt und sei gezwungen worden, sie zu
heiraten. Andere redeten von Hochverrat, von einem Geheimpakt des Grafen mit
dem englischen Feind. Gelegentlich wurde getuschelt, er wolle sich des Königs
entledigen, um das Objekt seiner offen besungenen Begierde, nämlich die Königin
höchstselbst, tatsächlich erobern zu können. In harmloseren Varianten wurde ihm
ein unbedachtes Lied zur falschen Zeit zugeschrieben, eine politische
Auseinandersetzung mit dem König oder die Vernachlässigung seines eigenen
Landes.
Natürlich hatte Clara die Königin befragt, aber diese hatte nur
geantwortet, Theobald sei diesmal viel zu weit gegangen, und sich auf keinerlei
Diskussion über das Zuweitgehen eingelassen.
»Als Graf der Champagne ist der Vasall natürlich verpflichtet, zu
unserer Krönung zu erscheinen«, gab Blanka zurück. »Nur verspüre ich nicht die
geringste Neigung, ihm persönlich zu begegnen.«
»Es ist seine Stadt, und er wird bei uns im Schloss wohnen; da wird
eine Begegnung unausweichlich sein«, gab Clara zu bedenken.
»Es ist unser Land, also auch unsere Stadt«, wies
Blanka sie zurecht. »Und weil ich ihn nicht sehen möchte, habe ich dafür
gesorgt, dass eine standesgemäße Stadtvilla für ihn hergerichtet wird. Ich
befehle dir, Clara, ihn mir und dem König vom Leibe zu halten. Lass dir etwas
einfallen; das kann doch nicht so schwer sein.«
Was aber leichter gesagt war als getan, dachte Clara am
nächsten Tag, als sie sich in der Kirche zu den anderen Hofdamen stellte. Nicht
einmal, wenn sie den Kopf reckte, konnte sie das kniende Königspaar sehen. Zu
viele Bischofsmützen versperrten ihr den Blick, zu viele weltliche Würdenträger
hatten sich um das Paar geschart. Ob auch Theobald zu ihnen gehörte, konnte
Clara aus der Entfernung nicht ausmachen. Ihr blieb nichts anderes übrig, als
ihm nach der Krönung aufzulauern, aber sie zweifelte, ihn davon abhalten zu
können, sich Blanka und Ludwig zu nähern.
»Wie schön die Königin doch ist«, flüsterte eine andere Hofdame
entrückt, die das edle Paar ebenso wenig wie Clara sehen konnte. Ja, eine
Königin hatte bei der Krönung schön zu sein, und Blanka hatte alles dafür
getan, diese Erwartung nicht zu enttäuschen. Dichter sollten später ihre
vornehme Blässe besingen, ebenso wenig wie Clara ahnend, mit wie viel des
giftigen Bleiweißes diese herbeigezaubert worden war; sie würden Blankas
leuchtendes Haar rühmen, nicht aber die Goldfäden erwähnen, mit denen es
durchwirkt war.
Auch nicht den arabischen Goldstaub, obwohl dieser wirklich
erwähnenswert gewesen wäre. Ein Flöckchen davon löste sich aus Blankas Haaren und fiel ihr ins rechte Auge. Es begann
augenblicklich zu tränen. Aber sie durfte sich jetzt unmöglich das Lid
reiben!
Mit aller Macht hielt sie ihre betenden Hände zusammen, konnte aber
nicht verhindern, dass diese leicht zitterten, als Erzbischof Guillaume de
Joinville eine Phiole in die Höhe hob. Hierin wurde das heilige
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