Die Kathedrale der Ketzerin
von einer grässlichen Hautkrankheit befallen
gewesen wäre? Vielleicht schon, dachte sie betroffen, als sie an die
hässliche blinde Frau dachte, die ihr und Felizian an einem Abend begegnet war
und die sich offensichtlich verlaufen hatte. Obwohl es heftig geregnet und Clara
über den Zustand ihrer Füße laut gejammert hatte, war es Felizian wichtiger
gewesen, das Zuhause dieser Frau zu finden, als Claras Schuhe zu retten und
sich ihre Gewogenheit zu sichern. Felizian hatte den Arm der elenden Frau
ergriffen und sie behutsam um die Sturzbäche geleitet, die den unvermeidlichen,
stinkenden Abfall durch die Gassen von Paris schwemmten. Mit leicht geschürztem
Rock und böser Miene war Clara in ihren durchweichten Schuhen stumm hinter
ihnen hergestapft, bis Felizian die Blinde in einem Armenviertel bei ihrer
Familie abliefern konnte. Clara, die nicht der Selbstsucht geziehen werden
wollte, hatte hinterher bitter darüber geklagt, die wichtige abendliche
Versammlung verpasst zu haben.
»Diese Tat entsprach dem Sinn einer Versammlung«, hatte Felizian
freundlich erwidert und sie zum Rosenfenster der Kathedrale zurückgeleitet. Er
hatte das Schicksal einer hässlichen blinden Frau über Claras Wunsch gestellt.
Trotzdem. Ihre Schönheit hatte ihr auch bei ihm nicht geschadet. Als Kind des
französischen Hofs hatte sie die Bewunderung in seinen Augen durchaus gelesen
und genossen.
Blanka setzte sich mit einem Ruck auf. Seifiges Wasser strömte ihr
übers Gesicht. Sie rieb sich heftig die Augen.
»Wenn dein Bruder Raimund, mein Cousin, so edel und wahrhaftig ist,
soll er endlich die Ketzer in seinem Land verfolgen und sich nicht wieder gegen
unsere Kreuzfahrer stellen!«
»Das hat er nie getan«, rief Clara.
»Willst du etwa behaupten, dass sein – dein! – Vater vor vielen
Jahren nicht den päpstlichen Legaten Peter von Castelnaudary heimtückisch hat
ermorden lassen? Damit hat das ganze Elend doch erst begonnen!«, rief
Blanka voller Empörung.
»Das war meinem Vater nie nachzuweisen!«, gab Clara genauso heftig
zurück. Und weil das etwas zu spitzfindig klang, setzte sie hinzu: »Mein
Vater hätte einen Mord niemals gutgeheißen. Er achtete das Leben. Außerdem hat
das nichts mit meinem Bruder zu tun und ist in der Tat schon sehr lange her.«
Aber Blanka hatte recht: Damit hatte tatsächlich das ganze Unheil
angefangen. Aufgrund dieses unaufgeklärten Mordes an einem arroganten
päpstlichen Legaten mit vielen namhaften Feinden hatte Papst Innozenz eine
Einrichtung namens Inquisition ins Leben gerufen, die Schuldigen benannt und
die Welt zu einem Kreuzzug an die Garonne aufgerufen: Erhebt Euch, Soldaten Christi! Fällt
das Urteil, gürtet Euer Schwert! Verhindert den Ruin der Kirche in diesen
Regionen. Kommt ihr zu Hilfe. Vernichtet durch Gewalt und Schwert diese
Häretiker, die viel gefährlicher sind als die Sarazenen.
Béziers, Marmande. Clara erschauerte.
»Aber jetzt herrscht doch endlich Waffenstillstand«, setzte sie
flüsternd hinzu, setzte sich auf einen niedrigeren Stuhl mit sehr schräger
langer Lehne und sandte den Mägden einen flehenden Blick, den Zuber hinter ihr
aufzustellen.
»Weil König Philipp im Sterben lag!«, rief Blanka. »Es ist nur
eine Frage der Zeit, bis das Kreuz gegen die Ketzer wieder aufgenommen wird …«
»Wann?«, fragte Clara heiser. Sie überlegte, wie sie Felizian
warnen könnte.
»Nach der Krönung müssen wir erst unsere Besitzungen besuchen und
uns dem Volk zeigen. Danach wird mein Ludwig der Welt beweisen, dass er zu
Recht der Löwe heißt, und diesen Häretikern endgültig den Garaus machen! Sie
bringen nur Unheil in die Welt. Dich hätten sie um ein Haar doch auch
umgebracht – obwohl du die Tochter des Grafen von Toulouse bist!«
Clara erwog zwei Möglichkeiten: Dies als Beweis dafür
heranzuziehen, dass sich das Haus von Toulouse nicht mit Ketzern gemein machte
und durch diese genauso bedroht war wie alle anderen wahrhaft Gläubigen auch,
oder endlich mit der Wahrheit über Marmande herauszurücken. Entschied sie sich
für Ersteres, würde sie weiterhin lügen; im anderen Fall müsste sie eine
frühere Lüge zurücknehmen und sich äußerst unbequemen Fragen aussetzen. Beides
behagte ihr überhaupt nicht.
»Theobald hat mich vor Ludwigs Männern gerettet, nicht vor den
Ketzern«, wich sie aus und legte den Kopf weit zurück, damit ihr eine Magd
Wasser über die Haare schütten konnte. Durch das Rauschen hörte sie Blanka laut
schimpfen: »Weil diese
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