Die Kathedrale der Ketzerin
niemand wagte es, der seit einem Tag
plötzlich so fröhlich, ja, geradezu übermütig gewordenen Königin die Botschaft
zu übermitteln. Zumal sie ständig von den Kindern umringt war, die sie seit dem
Aufbruch aus Paris von sich ferngehalten hatte. Blanka erfuhr nur, dass Ludwig
auf dem eine halbe Tagereise entfernten Montpensier lagerte.
»Dann soll ihm sein Sohn entgegenreiten!«, rief sie begeistert.
»Wie wird er sich freuen, seine gesamte Familie wieder um sich zu haben!« Mit
großem Unbehagen ließen die Wissenden das Kind vorreiten.
Kurz darauf kehrte der kleine Ludwig zum Zug der Königin zurück.
»Der Kanzler hieß mich wenden«, sagte er ratlos und sah seine Mutter
aus großen erschreckten Augen an.
Blanka, die nicht auf ihrem Zelter ritt, sondern neben Clara in dem
samtausgeschlagenen Reisewagen mit den goldenen Lilien saß, fragte ihren
elfjährigen Sohn ungeduldig: »Mit welcher Begründung?«
Der Knabe zuckte mit den Schultern.
»Der Kanzler klang schrecklich ernst«, sagte er und begann zu
weinen.
»Nein!«
Blanka wies den Wagenführer an zu halten. Sofort eilte ein Knappe
herbei und stellte ihr eine hölzerne Treppe zum Aussteigen hin.
»Wo ist mein Zelter?«
Clara stieg ebenfalls aus.
»Ich komme mit dir.«
Doch bevor ein Knappe der Königin das Pferd zuführen konnte, war
Ludwigs Kanzler schon selbst zur Stelle.
Mit gesenktem Blick fiel er vor Blanka und dem kleinen Ludwig auf
die Knie.
»Herrin, es war Gottes unverständlicher Wille …«
»Nein!«, schrie Blanka wieder. »Sagt mir nicht, dass er tot
ist!«
Der Kanzler senkte das Haupt so tief als nur möglich und nickte.
Langsam legte Blanka den Kopf in den Nacken, die Augen starr nach
oben gerichtet.
»Gott!«, herrschte sie den Himmel an. »Gott! Das verzeihe ich
dir niemals!«
Mit raschem Griff zog sie das Messer aus jener Tasche, in der ein
Spiegel stecken sollte, und führte es zu ihrem Herzen.
8
Intrigen
»Blanka, Blanka von Kastilien,
Herrscherin ob Frankreichs Lilien,
Rein wie sie und kalt wie Schnee!
Streng und ernst siehst du mein Minnen,
Keinen Blick selbst kann gewinnen
Meiner Liebe tiefes Weh!«
Thibaut
von Navarra’s Klagen
Sind’s,
die so allnächtlich tragen
Stille
Lüfte durch die Au.
All’
sein Sinnen, all’ sein Streben
Hat
er ihr dahingegeben,
Dieser
königlichen Frau.
Aber
wie der Mond die Bahnen
Ziehet,
ohne nur zu ahnen
Erdenleid,
so geht sie her;
Lebt
in Ludwig ganz, dem Sohne;
Den
einst schmückt des Heilg’en Krone –
Und
sein Lieben wird stets mehr!
Was
dem Mann sonst dünkt das Beste,
Kriegsgetümmel,
Schlacht und Feste,
Flieht
er wie ein scheues Wild;
Keine
Wunde kann er schlagen,
Im
Gefecht, beim wildsten Jagen
Steht
vor ihm ihr süßes Bild. –
Sprach
ein Greis zum Vielgetreuen:
»Soll
dein Gram nicht sich erneuen,
Stets,
so folge meinem Wort;
Liebe
gleicht des Südens Blüthe,
Treibt
im innersten Gemüthe
Unaufhaltsam,
ewig fort!
Kannst
sie nicht zum Tod bekämpfen,
Aber
ihre Schmerzen dämpfen
In
des Schönen Zauberreich;
Nimm
den Griffel, nimm die Laute
Und,
was dir dein Gram vertraute,
Ström’
es aus in Liedern reich!
Nur
zum Ruhm der Heldensprossen
Hat
sich Wort und Ton ergossen,
Ungefügig
oft und rauh.
Rühre
du die sanft’ren Saiten,
Sing’
der Seele Lust und Leiden,
Trag’
dein Weh im Preis der Frau!«
Und
Navarra’s König lauschet,
Mit
dem Schwert die Leier tauschet.
Ward
gesund durch Lied und Ton.
Doch
seitdem Gedicht und Singen,
Liebe
wecken, Liebe bringen
Und
ist Lieb’ ihr schönster Lohn! –
Luise Büchner (1821–1877)
D er kleine Ludwig stieß einen markerschütternden Schrei
aus. Mit wildem Blick sah Blanka auf ihren Sohn und ließ augenblicklich das
Messer fallen. Zu Boden sinkend, zerrte sie ihre Kopfbedeckung herunter, fuhr
sich mit beiden Händen durch das Haar und riss es sich unter lautem Wehklagen
büschelweise heraus.
»Mein Geliebter, mein Mann, mein süßer Gebieter! Nein, nein,
nein!«, heulte sie, während ihr die Tränen über das Gesicht strömten. »Wenn
du tot bist, bin ich es auch! Gott, nimm mich zu dir, bring mich zu meinem
Ludwig!« Den Oberkörper hin und her wiegend, hockte sie auf dem Erdboden und
raufte sich die Haare.
Clara hob das Messer auf, das sie nie wieder hatte berühren wollen,
und reichte es dem immer noch knienden Kanzler, der es rasch einsteckte.
»Herrin!«, rief Clara laut, »lasst Euch in den Wagen helfen!«
In
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