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Die Kathedrale der Ketzerin

Die Kathedrale der Ketzerin

Titel: Die Kathedrale der Ketzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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du sie begraben?«, fragte Blanka, während sie
Blätter von einem Bäumchen abriss und damit das Blut von ihrem Messer wischte.
    »Wir sollten sie auf die Straße legen. Mit etwas Glück werden sie
von Menschen gefunden, ehe Tiere über sie herfallen können«, schlug Clara vor.
    Sie war unsäglich erschöpft.
    Am nächsten Abend erreichten sie ein kleines Anwesen,
dessen Bevölkerung sich immer noch in heller Aufregung befand, da nur wenige
Stunden zuvor der Zug der Königin dort haltgemacht hatte.
    »Wie prächtig und erhaben sie uns von ihrem Wagen aus gegrüßt hat«,
teilte eine Magd den beiden Frauen mit. »Jetzt kann meine todkranke Mutter
glücklich sterben: Sie hat die Königin gesehen!«
    »Lass uns mit deiner Mutter beten«, schlug Blanka vor. Das Mindeste,
was sie für eine Sterbende tun konnte, war, sich ihr zu zeigen. Vor Gott könnte
diese dann getreulich berichten, die Königin gesehen zu haben.
    Misstrauisch blickte die Magd auf Blanka. »Wir sind selbst arme
Leute«, sagte sie abwehrend. Blanka bezog dies auf ihr an vielen Stellen
eingerissenes und verschmutztes Pilgerkleid.
    Clara aber sah den Blick der Magd auf das schwarz gewordene silberne
Kreuz geheftet, das Blanka vom Hals baumelte.
    Sie trat vor und legte dem Mädchen eine Hand auf die Schulter.
    »Gott wird deine Mutter zu einem
guten Ende führen, denn gute Menschen sind bei ihr«, flüsterte sie, nur für die
junge Frau vernehmlich. Rasch packte sie die Magd am Arm, bevor diese auf die
Knie fallen und um das Melioramentorum bitten konnte.
    »Ich bin keine Perfecta. Ich darf das Consolamentum nicht spenden«,
sagte sie schnell.
    »Aber wenn Ihr es doch kennt!«, rief die junge Magd verzweifelt.
»Damit sie in Ruhe und Gottes Frieden sterben kann!«
    »Aber sie hat doch die Königin gesehen«, warf Blanka ein, die nichts
von dem begriff, was zwischen der jungen Frau und Clara vorging.
    »Woran leidet deine Mutter?«, fragte Clara.
    »Sie verhungert.«
    »Das kann nicht sein«, gab Blanka ungläubig zurück. »Wie sollte sie
verhungern, da ihr uns Fremden doch soeben reichlich Speisen vorgesetzt
habt!«
    »Und davor war sie schwer erkrankt?«, fragte Clara.
    Die junge Frau nickte.
    »Aber dann ist ihr das Consolamentum doch bereits gespendet worden«,
bemerkte Clara aufs Geratewohl.
    »Das schon, aber als sie danach wieder gesundete, konnte sie nicht
ertragen, wieder der Sünde ausgesetzt zu sein. Ihre Zeit ist gekommen, sagt
sie, aber der Teufel will sie nicht freigeben. Wenn sie noch die Kraft hätte,
würde sie sich, wie mein Vater, in die Schlucht stürzen.« Sie nickte mit dem
Kopf in eine nicht erkennbare Ferne.
    »Sie soll nicht verzagen«, sagte Clara, »führ mich zu ihr. Ich
werde …«
    »Darf ich fragen, wovon ihr sprecht?«, fiel ihr Blanka ins Wort.
    »Nein«, gab Clara schroff zurück. »Das hat nichts mit der Königin zu
tun, so erhaben es auch gewesen sein mag, sie gesehen zu haben.«
    Augenblicklich bereute sie die hochmütigen Worte, die ihr vom Teufel
eingegeben worden sein mussten.
    »Entschuldigung«, sagte sie, trat auf Blanka zu und umarmte sie. Mit
einem geschickten Griff beförderte sie das Kreuz in Blankas Ausschnitt.
    »Wir gehen zusammen zu deiner Mutter«, sagte sie zu der Magd.
    Und so kam es, dass die ausgemergelte sterbende alte Frau nicht nur
die wahre Königin sah, sondern Worte hörte, die aus dem Mund einer Perfecta
hätten stammen können. Die Endura hatte sich gelohnt. Jetzt konnte sie in
Frieden sterben.
    Zwei Tage später hatten Blanka und Clara den Zug der
Königin eingeholt. Während sich Blanka im Hintergrund hielt, gab sich Clara zu
erkennen. Lisette, die unterwegs zwar die ganze Aufmerksamkeit und Huldigung
des Volkes durchaus genossen hatte, war überglücklich, die Rolle der Königin
endlich wieder ablegen zu können.
    »Ich hatte eine solche Angst vor dem König«, gestand sie, als sie
mit Clara zu jenem Bachlauf ging, an dem sich Blanka den Schmutz der Reise
abwusch. »Und vor den Kindern. Eins nach dem anderen haben wir unterwegs
abgeholt oder gesellte sich zu uns – das hatte Königin Ingeborg veranlasst. Und
keines der Kinder durfte die Mutter begrüßen. Da wurden sie immer unruhiger.
Sie konnten nicht begreifen, weshalb sich ihnen
die Mutter nach so langer Abwesenheit nicht näherte, weshalb sie von ihr
ferngehalten wurden. Der kleine Ludwig ist eines Nachts sogar heimlich in mein
Zelt geschlichen und hat mich abgeküsst. Es war fürchterlich, ihn ohne Worte
fortscheuchen zu müssen.

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