Die Kathedrale der Ketzerin
Ländereien gesprochen wurde. Keiner, der den Gesprächen an der
erhabenen Tafel gelauscht hätte, wäre je auf den Gedanken gekommen, dass diese
verehrten Gäste als Feinde der Königin über Lehen und Krieg zu verhandeln
hatten.
Blanka hatte die Gesprächsführung übernommen und erging sich in
Erinnerungen an frühere Zeiten, wobei in ihren Nebensätzen sowohl Theobald als
auch Heinrich immer wieder als leuchtende Beispiele für die Treue zum
Königshaus auftauchten. Das einem höchst edlen Geschlecht entstamme, wie sie
mit Blick auf ihren Sohn bemerkte. In dessen Adern das Blut Karls des Großen
fließe, was eine Verpflichtung sei und zu großen Hoffnungen Anlass gäbe.
»Entschuldigt eine alte Frau, Ihr edlen Herren«, sagte sie zu
fortgeschrittener Stunde. Sie hob ihren mit Rubinen besetzten silbernen Pokal,
in dem roter Wein funkelte, und trank den beiden Männern zu. »Verzeiht, ich bin
abgeschweift. Ihr seid gekommen, um mit uns zu verhandeln. Sagt doch, womit
können wir Euch dienen?«
Wie von ungefähr flog ihr Blick zu einer Drehleier, die an der Wand
ruhte. Theobald hatte das Instrument bereits beim Eintritt in die Halle bemerkt
und sich sehr bezwungen. Er hatte schon seit Monaten keine Musik mehr gemacht
und außer jenem Vers des Vortags keinen Reim mehr erdacht. Fern dem Objekt
seiner jahrelangen Anbetung war ihm auch die Muse
entfleucht und der Sinn seiner Kunst abhandengekommen.
»Ihr seid keine alte Frau«, sagte er empört, erhob sich und ging,
wie von einer fremden Macht gesteuert, auf die Wand zu. Vorsichtig hob er die
Drehleier auf, als wäre sie ein unendlich kostbares zerbrechliches Gut.
»Ja!«, rief Blanka mit leuchtenden Bronzeaugen. »Gebt uns doch
bitte eine Kostprobe Eurer Kunst. Es ist so still geworden auf den Burgen. Wo
sind nur all die Troubadoure geblieben?«
»Im Krieg«, murmelte Theobald und dachte an Etienne. Mit der
Freiheit des Südens würde auch die Musik sterben, hatte dieser gesagt. Das
durfte nicht sein, war jämmerlicher als eine tote Liebe! Tot? Seine war
lebendiger denn je.
»Stille, die Schmerzen bereitet, Wille, der Herzen bestreitet, das
Echte zu sehen, den Weg zu gehen, der wahre Freuden bereitet«, sang er, ohne
nachzudenken. »Schweigen, das schwer auf uns lastet, Neigen, das uns
angetastet, lasst mich doch verstehen, worin mein Vergehen, bestehet; ich hätt’
gern gefastet.«
Damit strich er sich über den runden Bauch und setzte sich schnell
verschämt wieder an seinen Platz.
»Ach, Theobald«, sagte Blanka, ehrlich gerührt, »was hast du mir
gefehlt!«
Blanka schickte keinen Knappen zu Clara, sondern gab
Theobald ihre Nachrichten mit, und die betrafen ihn selbst. Clara sollte, wenn
Theobald nicht zugegen war, gut auf die Gespräche der anderen Barone achten;
darauf, ob etwa Zweifel an Theobalds Treue in ihnen erwacht sei, und ihn in
diesem Fall warnen und entsprechend handeln.
Clara genoss bereits seit über einer Woche die Gastfreundschaft des
Vicomte von Thouars. In dieser Zeit waren Theobald und Heinrich dreimal nach
Loudun geritten, um mit der Königin zu verhandeln. Irgendwelche Ergebnisse aber
konnten sie nicht vorweisen.
»Wir sind auf einem guten Weg«, versicherte Theobald, bevor er sich
auf seinen vierten Ritt mit Heinrich begab, »aber die hohe Frau ist zäh und
noch nicht willens, uns alles zuzugestehen, was wir fordern.«
Richard von Cornwall entging das Leuchten in Theobalds Augen nicht.
Scharf fragte er: »Und schön ist sie wohl immer noch, auch wenn sie das
Fruchtbarkeitsalter allmählich überschritten haben dürfte?«
»Ihre Schönheit steht hier nicht zur Debatte«, warf Mauclerc ein.
»Die Elende soll ins Kloster gehen! Und ihren Sohn mitnehmen.« Misstrauisch
musterte er den Unterhändler: »Sagt uns doch, Graf Theobald, was genau ist
die Dame denn bereit aufzugeben?«
»Jeden Tag ein Stückchen mehr«, improvisierte Theobald ungeduldig.
Er hatte kein Interesse mehr, sich die Ansprüche eines jeden Rebellen
anzuhören; er wollte zu Blanka.
Beim letzten Besuch hatte sie ihm die Wange geküsst und ihm
zugeflüstert, alle früheren Sünden seien ihm vergeben. Sie sehne sich danach,
ihn wieder an ihrer Seite zu haben. Da waren ihm nach dem Abendessen die
schönsten Verse zugeflogen. Sogar die Küchenmädchen hatten laut geschluchzt,
als er von einem verzweifelt Liebenden sang, der sich das Krähen des Hahnes
wünscht, um fortgehen zu müssen, denn seine Liebe, oh Unglück, durfte nicht
einmal so lange verweilen. Allen im
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