Die Kathedrale des Meeres
gingen schleppend. Wo waren die Adligen, die sonst immer mit Pomp und Prunk neben dem Bischof zogen? Vier der fünf Ratsherren der Stadt waren gestorben und drei Viertel der Mitglieder des Rats der Hundert hatte dasselbe Schicksal ereilt. Die Übrigen hatten die Stadt verlassen. Die Bastaixos hoben schweigend ihre Schutzpatronin auf ihre Schultern, ließen den Bischof vorüberziehen und schlossen sich dann der Prozession und den Bittgebeten an. Von Santa María zogen sie über die Plaza del Born zum Kloster Santa Clara. Dort schlug ihnen trotz des Weihrauchs der Priester der Gestank von verbranntem Fleisch entgegen. Bei vielen gingen die Gebete in Schluchzen über. Auf Höhe des Danielstors wandten sie sich nach links zum Portal Nou und dem Kloster Sant Pere de les Puelles. Sie wichen dem einen oder anderen Leichnam aus und vermieden es, die Pestkranken anzusehen, die an den Straßenecken oder vor den mit einem weißen Kreuz gekennzeichneten Türen, die sich nie mehr für sie öffnen würden, auf den Tod warteten. »Heilige Jungfrau«, dachte Arnau, das Tragegestell auf den Schultern, »weshalb so viel Leid?« Von Sant Pere gingen sie betend bis zum Stadttor Santa Anna, von dort nach links in Richtung Meer bis zum Viertel Forn dels Arcs, um schließlich zur Kathedrale zurückzukehren.
Aber das Volk begann, an der Wirksamkeit der Kirche und ihrer Vertreter zu zweifeln. Da beteten sie bis zur Erschöpfung, und die Pest wütete noch immer.
»Sie sagen, dies sei das Ende der Welt«, erzählte Arnau eines Tages, als er nach Hause kam. »Ganz Barcelona ist verrückt geworden. Flagellanten nennen sie sich.«
Maria stand mit dem Rücken zu ihm. Arnau setzte sich und wartete, dass seine Frau ihm die Schuhe auszog. Unterdessen erzählte er weiter.
»Sie ziehen zu Hunderten mit nacktem Oberkörper durch die Straßen, verkünden, der Tag des Jüngsten Gerichts sei nahe, schreien ihre Sünden in die Welt hinaus und geißeln sich mit Peitschen. Einige haben nur noch rohes Fleisch am Rücken und machen trotzdem weiter …«
Arnau streichelte Maria, die nun vor ihm kniete, über den Kopf. Was war das? Er hob ihr Kinn an. Es konnte nicht sein. Nicht sie. Maria sah mit glasigen Augen zu ihm auf. Sie schwitzte, ihr Gesicht war schmerzverzerrt. Arnau versuchte, ihren Kopf noch weiter anzuheben, um den Hals zu sehen, doch sie zuckte vor Schmerz zusammen.
»Nicht du!«, schrie Arnau.
Maria kniete vor ihm, die Hände auf den Strohsandalen ihres Mannes, und sah Arnau an, während die Tränen über ihre Wangen zu rollen begannen.
»Mein Gott, nicht du. Mein Gott!« Arnau kniete sich neben sie.
»Geh, Arnau«, stammelte Maria. »Bleib nicht bei mir.«
Arnau wollte sie umarmen, doch als er sie an den Schultern fasste, verzog sie erneut das Gesicht vor Schmerzen.
»Komm«, sagte er, während er sie so sanft wie möglich hochzog. Erneut bat ihn Maria schluchzend zu gehen. »Wie könnte ich dich alleine lassen? Du bist alles, was ich habe … alles! Was soll ich ohne dich machen? Einige werden gesund, Maria. Du wirst wieder gesund! Du wirst wieder gesund!«
Während er versuchte, ihr Trost zuzusprechen, brachte er sie zur Schlafkammer und legte sie aufs Bett. Jetzt konnte er ihren Hals sehen, der immer so schön gewesen war und sich nun schwarz zu verfärben begann.
»Einen Arzt!«, schrie er aus dem Fenster.
Niemand schien ihn zu hören. Doch noch in derselben Nacht, als sich die Beulen an Marias Hals zu bilden begannen, malte jemand ein Kreidekreuz an ihre Tür.
Arnau konnte nichts weiter tun, als Marias Stirn mit feuchten Tüchern zu kühlen. Die Frau lag auf dem Bett und zitterte. Jede Bewegung verursachte ihr furchtbare Schmerzen und ihr leises Stöhnen richtete Arnaus Nackenhaare auf. Maria starrte mit leerem Blick an die Decke. Arnau sah, wie die Beulen am Hals wuchsen und ihre Haut sich schwarz färbte. »Ich liebe dich, Maria. So oft schon hätte ich dir das gerne gesagt.« Er nahm ihre Hand und kniete neben dem Bett nieder. So verbrachte er die Nacht, die Hand seiner Frau umklammernd, während er mit ihr zitterte und schwitzte und bei jedem Krampf, der Maria schüttelte, zum Himmel flehte.
Er hüllte sie in das beste Leintuch, das sie besaßen, und wartete, dass der Leichenkarren vorbeikam. Er wollte sie nicht auf der Straße ablegen, sondern sie den Totengräbern selbst übergeben. Als er das müde Trappeln der Pferdehufe hörte, nahm er Marias Leichnam und trug ihn nach unten auf die Straße.
»Leb wohl«, sagte er
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