Die Kathedrale des Meeres
und küsste sie auf die Stirn.
Die beiden Totengräber, die Handschuhe trugen und ihre Gesichter mit dicken Tüchern verhüllt hatten, sahen überrascht zu, wie Arnau das Leintuch von Marias Gesicht zurückschlug und sie küsste. Niemand wollte den Pesttoten nahekommen, nicht einmal ihre liebsten Angehörigen. Sie ließen sie einfach auf der Straße liegen oder riefen bestenfalls die Totengräber, damit diese sie abholten. Arnau übergab seine Frau den Männern, die beeindruckt versuchten, sie vorsichtig zu den Dutzenden von Leichen zu legen, die sie transportierten.
Mit Tränen in den Augen sah Arnau dem Karren hinterher, bis er in den Straßen Barcelonas verschwand. Er würde der Nächste sein. Er ging ins Haus und setzte sich hin, um auf den Tod zu warten, voller Sehnsucht, wieder mit Maria vereint zu sein. Drei ganze Tage wartete Arnau darauf, dass die Pest bei ihm ausbrach, während er ständig seinen Hals betastete, um nach einer Schwellung zu suchen. Die Beulen kamen nicht, und Arnau begann zu begreifen, dass der Herr ihn fürs Erste verschont hatte.
Arnau ging am Strand entlang und watete durch die Wellen, die sich am Ufer der verfluchten Stadt brachen. Er streifte durch Barcelona, ohne Augen für das Elend und die Kranken zu haben oder das Stöhnen wahrzunehmen, das aus den Fenstern der Häuser drang. Etwas trieb ihn nach Santa María. Die Bauarbeiten waren eingestellt worden, die Gerüste waren verwaist, Steine lagen herum und warteten darauf, dass sie jemand bearbeitete. Doch die Menschen strömten nach wie vor in die Kirche. Er ging hinein. Die Gläubigen standen oder knieten rund um den unvollendeten Hauptaltar und beteten. Obwohl der Bau durch die noch nicht fertiggestellten Apsiden nach wie vor nach oben offen war, war die Luft geschwängert von Weihrauch, der verbrannt wurde, um den Geruch des Todes zu überdecken, der die Menschen begleitete. Als er gerade zu seiner Jungfrau gehen wollte, richtete ein Priester vom Hauptaltar aus das Wort an die Gläubigen.
»Unser Papst Clemens VI. hat eine Bulle erlassen, welche die Juden davon freispricht, die Pest verursacht zu haben. Die Krankheit ist lediglich eine Pestilenz, mit der Gott das christliche Volk prüft.« Ein missbilligendes Murren ging durch die Versammelten. »Betet«, fuhr der Priester fort, »und empfehlt eure Seelen dem Herrn.«
Viele verließen lautstark diskutierend die Kirche.
Arnau achtete nicht länger auf die Predigt und ging zur Sakramentskapelle. Die Juden? Was hatten die Juden mit der Pest zu tun? Die kleine Marienstatue erwartete ihn am selben Platz wie immer. Die Kerzen der Bastaixos spendeten ihr Licht. Wer mochte sie entzündet haben? Trotzdem konnte Arnau seine Mutter kaum erkennen. Sie war von einer dichten Weihrauchwolke eingehüllt. Er sah ihr Lächeln nicht. Arnau wollte beten, aber es gelang ihm nicht. »Weshalb hast du das zugelassen, Mutter?« Bei dem Gedanken an Maria, ihr Leiden, ihren dem Schmerz ausgelieferten Körper, die Beulen, von denen sie gequält wurde, rollten ihm erneut die Tränen über die Wangen. Es war eine Strafe, doch eigentlich war er es, der diese Strafe verdient hatte. Er hatte gesündigt, indem er mit Aledis untreu gewesen war.
»Fehlt dir etwas, mein Sohn?«, hörte er jemanden hinter sich fragen. Arnau drehte sich um und stand vor dem Priester, der gerade eben noch zu den Gläubigen gesprochen hatte.
»Ach, Arnau«, sagte dieser, nachdem er in ihm einen der Bastaixos erkannt hatte, die so eifrig am Bau von Santa María mitwirkten. »Fehlt dir etwas?«, erkundigte er sich noch einmal.
»Maria.«
Der Priester nickte.
»Wir wollen für sie beten«, forderte er ihn auf.
»Nein, Pater«, widersetzte sich Arnau. »Noch nicht.«
»Nur in Gott wirst du Trost finden, Arnau.«
Trost? Wie sollte er irgendwo Trost finden? Arnau versuchte, seine Jungfrau zu erkennen, doch der Weihrauch hinderte ihn auch diesmal daran.
»Wir wollen beten …«, beharrte der Pfarrer.
»Was hat das mit den Juden zu bedeuten?«, unterbrach ihn Arnau auf der Suche nach einer Ausflucht.
»Ganz Europa glaubt, die Juden seien schuld an der Pest.« Arnau sah den Priester fragend an. »Angeblich haben im Schloss Chillon bei Genf einige Juden gestanden. Die Seuche sei von einem Juden aus Savoyen verbreitet worden, der mit einer von den Rabbinern zubereiteten Substanz die Brunnen vergiftete.«
»Und stimmt das?«, fragte Arnau.
»Nein. Der Papst hat sie von jeder Schuld freigesprochen, doch die Leute suchen nach
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