Die Kathedrale des Meeres
ihr Lächeln war verschwunden.
Aus diesem Grund sprach Arnau Mar an diesem Abend an und bat sie, ihn zu begleiten.
»Wohin?«, fragte das Mädchen.
Ja, wohin?
»Ich weiß nicht … Vielleicht nach Santa María? Dein Vater hat diese Kirche bewundert. Weißt du, dass ich ihn dort kennengelernt habe?«
Mar war einverstanden. Die beiden verließen die Wechselstube und spazierten zu der noch unvollendeten Fassade von Santa María. Die Maurer begannen gerade mit dem Bau der beiden flankierenden achteckigen Türme, und die Steinmetzen meißelten eifrig am Tympanon, den Türstürzen, dem Mittelpfosten und den Archivolten. Arnau und Mar traten in die Kirche. Die Rippen des zweiten Mittelschiffjochs reckten sich bereits in den Himmel, dem Schlussstein entgegen. Sie wirkten wie ein Spinnennetz, gestützt von den hölzernen Gerüsten, auf denen sie auflagen.
Arnau konnte die Nähe des Mädchens spüren. Sie war ebenso groß wie er, das Haar fiel ihr anmutig über die Schultern. Sie roch gut, frisch, nach Kräutern. Die meisten Handwerker bewunderten sie. Er sah es an ihren Augen, selbst wenn sie sich abwandten, nachdem sie Arnaus Blick bemerkten. Ihr Duft drang mit jeder ihrer Bewegungen zu ihm herüber.
»Weshalb willst du nicht zu meiner Hochzeit kommen?«, fragte er unvermittelt.
Mar gab keine Antwort. Sie ließ ihren Blick durch den Kirchenraum wandern.
»Man gestattet mir nicht einmal, in dieser Kirche zu heiraten«, murmelte Arnau.
Das Mädchen sagte noch immer nichts.
»Mar …« Arnau wartete, bis sie ihn ansah. »Ich hätte dich gerne am Tag meiner Hochzeit bei mir gehabt. Du weißt, dass es mir nicht gefällt und ich es gegen meinen Willen tue, aber der König … Ich werde dich nicht weiter drängen, einverstanden?« Mar nickte. »Kann dann alles zwischen uns sein wie immer?«
Mar blickte zu Boden. Es gab so vieles, was sie ihm gerne gesagt hätte. Aber sie konnte ihm seine Bitte nicht abschlagen. Sie hätte ihm nichts abschlagen können.
»Danke«, sagte Arnau. »Wenn du mich im Stich lassen würdest … Ich weiß nicht, was aus mir würde, wenn die Menschen, die ich liebe, mich im Stich lassen!«
Mar spürte, wie sich ihr Herz verkrampfte. Es war nicht diese Art von Zuneigung, nach der sie verlangte. Sie wollte Liebe. Weshalb nur war sie darauf eingegangen, ihn zu begleiten? Sie blickte zum Gewölbe der Apsis von Santa María hinauf.
»Joan und ich haben gesehen, wie dieser Schlussstein gesetzt wurde«, sagte Arnau, ihrem Blick folgend. »Wir waren damals noch Kinder.«
Zurzeit arbeiteten die Glaser in halsbrecherischer Höhe an den Fenstern des Obergadens. Die oberen Fenster der Apsis, die eine kleine Rosette zu bilden schienen, waren bereits fertiggestellt. Danach waren die darunterliegenden großen Spitzbogenfenster an der Reihe. Aus farbigem Glas, das mit dünnen Bleifassungen zusammengefügt wurde, gestalteten sie Figuren und Dekors, durch die wie durch einen Filter das Licht von außen in die Kirche fiel.
»Als Junge«, fuhr Arnau fort, »hatte ich das Glück, mit dem großen Berenguer de Montagut zu sprechen. Ich weiß noch, dass er sagte, wir Katalanen brauchten keinen anderen Schmuck als den Raum und das Licht. Der Baumeister hat zur Apsis hinaufgewiesen – genau dorthin, wo du jetzt hinschaust – und mit einer Handbewegung beschrieben, wie das Licht von dort zum Hauptaltar einfallen sollte. Ich tat so, als hätte ich verstanden, doch in Wirklichkeit war ich nicht in der Lage, mir vorzustellen, wovon er sprach.« Mar sah ihn an. »Ich war noch jung«, entschuldigte er sich, »und er war der Baumeister, der große Berenguer de Montagut. Heute jedoch verstehe ich, was er meinte.«
Arnau trat ganz nahe an Mar heran und deutete auf die Fensterrosette hoch oben. Mar versuchte zu verbergen, dass sie ein Schauder durchfuhr, als Arnau sie berührte.
»Siehst du, wie das Licht einfällt?« Er beschrieb eine Handbewegung bis zum Hauptaltar, so wie es Berenguer damals gemacht hatte, doch diesmal waren tatsächlich bunte Lichtstrahlen zu sehen, die von oben durch die Fenster fielen. Mar folgte Arnaus Handbewegung. »Schau nur. Die der Sonne zugewandten Fenster sind in leuchtenden Farben gehalten, Rot, Gelb und Grün, um die Kraft des Mittelmeerlichts zu nutzen. Die Fenster auf der Schattenseite sind weiß oder blau. Und während die Sonne am Himmel entlangwandert, ändert sich das Licht in der Kirche und wird von den Steinen reflektiert. Der Baumeister hatte ja so recht! Es ist, als stünde
Weitere Kostenlose Bücher