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Die Katze, die Domino spielte. Roman.

Die Katze, die Domino spielte. Roman.

Titel: Die Katze, die Domino spielte. Roman. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilian Jackson Braun
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Gesichter merke ich mir ohnehin nicht gut. Lori sagt, das muß ich noch lernen, wenn ich eine Pension führen will. In meinem Beruf sind die Leute nur Nummern.«
    Qwilleran hörte den zusammenhanglosen Ausführungen kaum zu. Die rothaarige Frau war der einzige Mensch, den er aktiv verabscheute, und Polly teilte seine Gefühle. Zum Glück fuhr sie in die entgegengesetzte Richtung, und in der Droschke war Gepäck aufgetürmt gewesen. Er erlaubte sich, zu überlegen, was sie wohl auf Pear Island getan hatte; das war wohl kaum ihre Art Urlaubsort. Vielleicht war sie hinter dem Goldenen Vorhang zu Gast gewesen; das schien ihm wahrscheinlicher.
    Nachdem sie das Zentrum verlassen hatten, waren sie allmählich immer weiter bergauf gefahren. Jetzt lag der Strand unter ihnen, und auf der anderen Seite tauchten Stufen und die Wälder auf. Die Straße folgte dem gewundenen Verlauf der natürlichen Uferlinie, und als der Wagen nach einer Kurve plötzlich anhielt, schrie Qwilleran unwillkürlich auf. »Ist das Ihr Haus, Nick? Ich kann es nicht fassen! Warum haben Sie mir das nicht gesagt?«
    »Ich wollte Sie überraschen. Es ist das einzige auf der ganzen Insel – vielleicht das einzige auf der ganzen Welt!«
    Das Domino Inn war ein großes, klobiges Gebäude mit kleinen Fenstern, dessen Wände vollständig mit einem Flickwerk aus weißen Birkenrinden verkleidet waren. Qwilleran dachte: Warum hat bloß jemand einen ganzen Birkenwald gefällt, um einen derartigen Schandfleck zu produzieren? Wie konnte er damit ungestraft davonkommen? Er beantwortete seine Frage selbst: Weil sich damals, in den zwanziger Jahren, kein Mensch darum kümmerte. Dann fragte er sich: Warum haben sie bloß solch ein Ungetüm gekauft? Wie konnte der Klingenschoen-Fonds so etwas finanzieren?
    Nick hielt sein Schweigen für ehrfürchtiges Staunen und sagte stolz: »Ich habe mir gedacht, daß Sie beeindruckt sein würden. In fast allen überregionalen Berichten ist darüber geschrieben worden.«
    Qwilleran hatte irgendwie das Gefühl, es gehöre verboten. Es sah extrem feuergefährdet aus. Es konnte – oder sollte – von Termiten befallen sein. Insgeheim nannte er es ›Pension des Schreckens‹.
    Der Wagen bog in die Auffahrt ein und blieb vor einer Holztreppe stehen, die zu einer langen Veranda hinaufführte. Es gab keine Schaukelstühle, dafür aber Schaukeln, die an Ketten von der Decke hingen. Im nächsten Augenblick flog die Eingangstür auf, und Lori kam die Treppe heruntergesprungen, um Qwilleran zur Begrüßung zu umarmen. Seine ehemalige Sekretärin war jetzt Pensionswirtin und dreifache Mutter, trug aber ihre langen goldenen Haare noch immer zu mädchenhaften Zöpfen geflochten, die mit blauen Schleifen gebunden waren.
    »Ich konnte kaum erwarten, daß Sie es sehen!« rief sie aufgeregt. »Warten Sie, bis Sie es erst von innen gesehen haben! Kommen Sie doch herein!«
    »Wenn es Ihnen nichts ausmacht«, sagte er, »würde ich gern vorher die Katzen abladen. Wenn sie nicht bald aus dem Korb herauskommen, drücken sie ihre Gefühle vielleicht auf eine weniger akzeptable Art aus. Ich füttere sie noch und komme dann her und trage mich in Ihr Buch ein.«
    »Brauchen Sie Katzenfutter? Oder Katzenstreu?«
    »Nein, vielen Dank. Wir sind gut ausgerüstet.«
    Nick gab dem Fahrer Anweisung, hinter das Haus und dann die Straße hinunter zum vierten Sommerhäuschen zu fahren. Die sandige Straße war mit einem rustikalen Schild mit der Aufschrift ›AUGENHOF‹ versehen. Für Qwilleran klang das nach einem medizinischen Fachausdruck, und er erkundigte sich danach. Die Punkte auf den Dominosteinen heißen Augen, erfuhr er.
    Die fünf Sommerhäuschen waren kaum größer als Garagen und dunkelbraun gebeizt. Die Türen waren schwarz mit weißen Punkten. Das vierte Häuschen war durch eine Doppel-Zwei gekennzeichnet.
    »Ihr Häuschen heißt ›Vier Augen‹, und es liegt tiefer im Wald als die ersten drei. Die Katzen können von der fliegengitterbespannten hinteren Veranda aus Vögel und Kaninchen beobachten. Hier ist der Schlüssel. Gehen Sie hinein, ich lade schon einmal alles ab.«
    Die Eingangsstufe war kaum groß genug für einen Schuh in Größe 46, und als Qwilleran den Riesen-Dominostein aufschloß, betrat er die kleinste Wohnung, die er seit seiner Zeit in einem Armeezelt gesehen hatte. Er war ein großer Mann und daran gewöhnt, in einer drei Stockwerke hohen Scheune zu wohnen, und hier hatte er ein winziges Wohnzimmer, ein kuscheliges Schlafzimmer, eine

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