Die Katze im Taubenschlag
Was soll sie denn für Sie zeichnen?«, fügte sie freundlich hinzu, als spräche sie mit einem Kind.
»Gesichter«, erwiderte Poirot.
»Miss Rich zeichnet auch ganz gut…«
»Versuchen wir’s mit ihr.«
Er stellte zu seiner Genugtuung fest, dass Miss Bulstrode keine unnötigen Fragen stellte. Sie verließ das Zimmer und kam kurz darauf mit Miss Rich zurück.
»Wie ich höre, sind Sie eine gute Zeichnerin. Können Sie Leute porträtieren?«
Eileen Rich nickte.
»Würden Sie so freundlich sein, eine Skizze von der verstorbenen Miss Springer für mich zu machen?«
»Das ist schwierig. Ich kannte sie nur sehr kurze Zeit, aber ich will es versuchen.«
Sie kniff die Augen zusammen und begann schnell zu zeichnen.
»Bien«, sagte Poirot und nahm ihr die Skizze aus der Hand. »Und nun bitte Miss Bulstrode, Miss Rowan, Mademoiselle Blanche und Adam, den Gärtner.«
Eileen Rich sah ihn erstaunt an, dann machte sie sich an die Arbeit. Er betrachtete das Resultat befriedigt.
»Sie sind sehr begabt, mit ein paar Strichen gelingt es Ihnen, Gesichter deutlich erkennbar zu machen. Ausgezeichnet! Und jetzt möchte ich Sie bitten, etwas noch Schwierigeres zu versuchen. Geben Sie Miss Bulstrode eine andere Frisur, verändern Sie die Form ihrer Augenbrauen.«
Eileen sah ihn fassungslos an.
»Ich bin nicht verrückt geworden, Miss Rich«, sagte er. »Ich mache lediglich ein Experiment.«
Sie führte seine Wünsche aus.
Poirot betrachtete die Zeichnung.
»Glänzend! Nun möchte ich Sie bitten, auch Mademoiselle Blanche und Miss Rowan auf die gleiche Weise zu verändern.«
Nachdem Eileen die beiden Skizzen vollendet hatte, legte Poirot die drei Porträts vor sich auf den Tisch.
»Nun will ich Ihnen etwas zeigen«, sagte er. »Miss Bulstrode ist trotz der Veränderungen deutlich als Miss Bulstrode zu erkennen. Aber sehen Sie sich die beiden anderen an! Da sie uninteressante Züge haben und im Gegensatz zu Miss Bulstrode keine starken Persönlichkeiten sind, sind sie durch die geringfügigen Veränderungen ganz andere Menschen geworden, nicht wahr?«
Eileen Rich gab ihm Recht. Als er die Skizzen sorgfältig zusammenfaltete und einsteckte, fragte sie:
»Was werden Sie damit tun?«
»Ich werde sie benutzen«, erwiderte Poirot geheimnisvoll.
20
» I ch weiß wirklich nicht, was ich dazu sagen soll«, erklärte Mrs Sutcliffe und sah Hercule Poirot missbilligend an. »Außerdem ist Henry nicht zuhause.«
Wahrscheinlich will sie damit andeuten, dass Henry eher imstande wäre, mit dieser Angelegenheit fertigzuwerden, dachte Poirot.
»Eine äußerst peinliche Sache«, erklärte Mrs Sutcliffe. »Ich bin nur froh, dass Jennifer wieder zuhause ist, obwohl sie sich sehr albern benimmt. Nachdem sie sich anfangs geweigert hat, nach Meadowbank zu gehen, weil sie die Schule für übertrieben vornehm hielt, schmollt sie jetzt von früh bis abends, weil wir sie nicht dort gelassen haben.«
»Meadowbank ist zweifellos eine der besten englischen Schulen«, bemerkte Poirot.
» War eine der besten Schulen«, korrigierte Mrs Sutcliffe.
»Und wird es wieder sein«, erklärte Poirot.
»Glauben Sie wirklich?«
Mrs Sutcliffe sah Poirot nachdenklich an. Seine teilnahmsvolle, liebenswürdige Art begann sie zu beeindrucken.
»Leider befindet sich Meadowbank im Augenblick in einer recht unglücklichen Lage«, sagte Poirot, da ihm nichts Besseres einfiel. Er war sich über die Unzulänglichkeit seiner Bemerkung klar, und sie fiel Mrs Sutcliffe natürlich sofort auf.
»Mehr als eine unglückliche Lage«, entgegnete sie. »Zwei Morde und eine Entführung! Man kann seine Tochter nicht in eine Schule schicken, in der ein Mord nach dem anderen geschieht.«
Dagegen ließ sich nicht viel einwenden.
»Wenn sich herausstellt, dass eine Person für beide Morde verantwortlich ist, und wenn diese Person festgenommen wird, sieht alles anders aus, finden Sie nicht?«
»Mag sein«, erwiderte Mrs Sutcliffe unsicher. »Sie meinen wohl jemanden wie ›Jack the Ripper‹ oder diesen anderen Mörder – wie hieß er doch? –, der immer einen bestimmten Typ von Frauen umgebracht hat… und dieser Mörder hat es eben auf Lehrerinnen abgesehen… grauenhaft! Immerhin, wenn er festgenommen wird, sieht wohl alles anders aus…, aber dann bleibt immer noch die Entführung. Man will seine Tochter schließlich auch nicht auf einer Schule lassen, aus der andere junge Mädchen entführt worden sind, nicht wahr?«
»Bestimmt nicht, Madame. Ich sehe, dass Sie
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