Die Katze namens Eisbär
Nachmittag im Schachhaus zu sitzen. Ich sah keinen Grund, diesem ungarischen Großmeister dadurch einen Vorteil zu verschaffen, daß ich während der Partie ständig auf Eisbär achten mußte.
Ich rief also Marian an, meine Mitarbeiterin beim Tierschutz-Fonds, und erklärte ihr, es handle sich um einen Notfall. Ich bat sie, herzukommen und sich um Eisbär zu kümmern, bis ich meine Partie gegen den Großmeister beendet hätte, und versicherte ihr, daß es nicht lange dauern würde.
Marian war nicht begeistert – sie hat bis heute nicht begriffen, daß in der guten alten Zeit jedermann am Samstag den halben Tag zu arbeiten pflegte. Und die Leute waren damals vergnügter. Ich mußte ziemlich lang warten, aber schließlich kam Marian, ich übergab ihr Eisbär und ging hinein zu den anderen, die schon an dem langen Tisch Platz genommen hatten, auf dem etwa zwanzig Schachbretter aufgereiht lagen. Auf der einen Seite, dort wo wir plaziert waren, gab es Stühle; auf der anderen Seite gab es keine, weil ja der Großmeister ständig von Brett zu Brett wandern würde.
Wir warteten gespannt, und dann kam er endlich, der ungarische Großmeister. Ich traute meinen Augen nicht. Ich wußte sofort, warum die Frau von der Parkverwaltung so seltsam gelächelt hatte, als sie mich fragte, ob ich mitmachen wolle.
»Ihr Gegner«, sagte sie zur Einführung, »ist zwölf Jahre alt.« Aber das war noch nicht alles. Der Gegner war nämlich eine Gegnerin.
Die ganze Sache war einfach zu albern. Ich habe wirklich nichts gegen Frauen, die Schach spielen; im Gegenteil, ich finde, das tut dem Spiel gut, und ich habe mich nie geweigert, gegen eine Frau zu spielen oder ihr nützliche Ratschläge zu geben. Aber eine Zwölfjährige – das ging denn doch zu weit. Aber da ich nun einmal zugesagt hatte, wäre es unhöflich gewesen, in letzter Minute einen Rückzieher zu machen.
Ich setzte mich also, wenn auch widerwillig, auf meinen Platz und wartete, bis das Kind zu meinem Brett kam. Ich bemühte mich, nicht gönnerhaft oder selbstgefällig zu sein, aber es fiel mir schwer. Die Kleine konnte kaum auf den Tisch hinaufsehen. Ihre Augen waren gerade auf gleicher Höhe mit den Figuren.
Irgend etwas – ich weiß nicht, was – ging schief. Zuerst verlor ich einen Bauern. Darüber war ich gar nicht glücklich, aber ich schrieb es einem gewissen Leichtsinn zu, der entweder übertriebener Selbstsicherheit oder Geringschätzung oder beidem zusammen entsprang. Ich riß mich jedenfalls schleunigst zusammen. Warum sollte ich der Kleinen diesen Bauern nicht lassen, irgendwann im Lauf des Spiels würde meine männliche Logik sich ja doch als überlegen erweisen. Aber da verlor ich unversehens und einfach unerklärlicherweise einen Springer. Ich konnte es nicht glauben. Worauf hatte ich mich da eingelassen? Diese Fehlleistung konnte nur auf einer Art geistiger Abwesenheit beruhen, die durch unbewußtes Mitleid mit der Kleinen verursacht war. Schließlich hörte ich, gewissermaßen aus heiterem Himmel, ein winziges Stimmchen, das »Schach!« flüsterte. Und tatsächlich, ich stand im Schach. Ich machte einen Befreiungszug, und da zog sie mit ihrer Dame praktisch über das ganze Brett – ihr dünner kleiner Arm war kaum lang genug – und sagte, wieder mit diesem gräßlich dünnen Stimmchen, leise: »Schachmatt.« Ich war fassungslos. Ich war von einer Zwölfjährigen matt gesetzt worden.
Ich möchte an dieser Stelle sagen, daß ich beim Schach ganz gut verlieren kann. Ich meine, weder schmeiße ich die Figuren nach dem Gegner noch werde ich sonstwie tätlich. Es kann nach einem Spiel, das ich wegen eines leichtsinnigen Fehlers verloren habe – wir verlieren immer wegen eines leichtsinnigen Fehlers, nie weil der andere besser ist –, vorkommen, daß ich auf dem Heimweg durch den Park an die umstehenden Bäume ein paar Fußtritte verteile, aber ich tue es immer möglichst dann, wenn niemand mich dabei beobachtet. Diesmal benahm ich mich wie der vollendete Sportsmann. Ich stand auf und schüttelte diesem verflixten kleinen Ding die Hand. Und hinterher stand ich herum und sah zu, wie alle meine Schachkumpel einer nach dem anderen ebenfalls verloren. Ich will nicht behaupten, daß ich genau das erhoffte, aber ich mußte doch an das denken, was Somerset Maugham einmal gesagt hatte: »Wir alle sehen es gern, wenn unsere Freunde vorwärtskommen, aber nicht zu weit.«
Ich kann nicht leugnen, daß ich, als ich hinausging, gegen die Tür trat – aber nur, weil die
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