Die Katze namens Eisbär
Chester unbedingt hatte haben wollen, ihn nie anders gekannt hatte.«
Letztendlich jedoch gelangte ich zu der Überzeugung, daß nicht Siamesen und nicht wild lebende Katzenmütter die schlauesten ihrer Rasse sind. Zwei Kater ungewisser Herkunft liefen ihnen den Rang ab. Die Geschichte des einen wurde mir von einer Frau erzählt, die eine Freundin des Katzenbesitzers war. Der Kater pflegte jeden Dienstagabend um die gleiche Zeit, nämlich Punkt sieben, zu verschwinden. Und jedesmal kehrte er genau um Mitternacht zurück und verlangte Einlaß. Der Mann wurde immer neugieriger; zu gern hätte er gewußt, was ein Kater dienstags trieb. Am Ende beschloß er, ihm einmal zu folgen.
»Einfach war es nicht. Der Kater durchquerte fremde Gärten, sprang über Zäune und lief durch kleine Seitenstraßen bis zu einem großen, einstöckigen Haus. Dort kletterte er die Feuerleiter hinauf und setzte sich vor ein Fenster. Der Besitzer, dem es mit Mühe und Not gelungen war, ihm auf den Fersen zu bleiben, sagte sich, als er seinen Kater da oben auf der Feuerleiter vor dem Fenster sitzen sah, der kleine Bursche habe dort wahrscheinlich eine Freundin und warte auf sie. Neugierig wartete er ebenfalls. Er sah auf seine Uhr. Es war zehn vor acht. Die Zeit dehnte sich. Aber plötzlich begann der Kater wild mit dem Schwanz zu schlagen. Wieder sah der Mann auf die Uhr. Es war genau zehn nach acht. Und im selben Moment schallte aus dem Zimmer hinter dem Fenster eine Stimme: ›Bingo!‹«
Die zweite Geschichte war vielleicht noch bemerkenswerter.
»Wir kauften unser Haus in Kalifornien im Oktober 1965. Mit dem Haus erwarben wir einen wunderschönen, zutraulichen Kater, der offensichtlich schon längere Zeit dort gelebt hatte. Wir verstanden uns glänzend bis zu dem Tag des Erdbebens im San Fernando Valley. Während die Erde zitterte, verschwand unser Kater. Nach einiger Zeit erschien er wieder – aber nicht bei uns. Er ließ sich im Haus gegenüber nieder und betrat nie wieder unsere Schwelle.«
Der Kater hatte natürlich schon das Zeitliche gesegnet, als 1989 das große Erdbeben San Francisco erschütterte, aber es ist gut möglich, daß eines der kleineren Beben, die dem von 1965 folgten, ihn zu einem weiteren Umzug trieb.
Wie dem auch sei, während ich mir diese beiden Geschichten durch den Kopf gehen ließ, überlegte ich, was Eisbär wohl in vergleichbaren Situationen tun würde. Ich spielte zwar nie Bingo, aber ich fragte mich, ob er es, wenn ich spielen würde, nicht im Vergleich zu einer meiner hochinteressanten zweistündigen Schachpartien unglaublich langweilig finden würde, mir dabei zuzusehen. Was die Erdbebentheorie angeht, so wußte ich, daß auch Eisbär mich verantwortlich für jedes Wetter machte, das ihm mißhagte. Wenn es im Winter zu kalt war und auf seinem Balkon Schnee lag, war es meine Schuld. War es im Sommer zu heiß, gab es ein Gewitter, so war auch das meine Schuld. Konnte ich wirklich gewiß sein, daß er mir nicht auch an einem Erdbeben die Schuld geben würde?
3. Hund und Katz
Bis heute weiß ich nicht, wie alt Eisbär ist; ganz gleich jedoch, welches Alter er hat, er benimmt sich keineswegs entsprechend. Noch immer saust er durch die Wohnung, tobt herum, amüsiert sich mit seinen Spielsachen und jagt sein Wollknäuel, als sei er ein kleines Kätzchen.
Aber gerade das ist eine der faszinierendsten Seiten der Katzen. Sie spielen eigentlich ihr Leben lang. Ich muß allerdings ehrlich sagen, manchmal habe ich den Eindruck, daß Eisbärs Benehmen für einen Kater seines Alters nicht mehr ganz angemessen ist. Ab und zu wünsche ich mir, er würde sich ein bißchen mehr Mühe geben, mir nachzueifern, und versuchen, mit Grazie alt zu werden.
Als er damals zu mir kam, meinte Susan Thompson, seine Tierärztin, er sei ungefähr zwei Jahre alt; heute glaubt sie, er könne auch älter gewesen sein, bis zu fünf Jahren. Er ist also jetzt, während ich dies schreibe – zehn Jahre später, wie gesagt –, zwischen zwölf und fünfzehn.
Ich meinerseits bin zwischen sechzig und siebzig. Ich habe keine Probleme mit meinem Alter und wünschte nur, Eisbär nähme sich ein Beispiel an mir und würde nicht jedesmal, wenn ich Besuch habe, wie ein Verrückter in der ganzen Wohnung herumtoben. Ich hatte gehofft, mit den Jahren würde er umgänglicher werden. Von wegen! Er ist ein richtiger alter Griesgram geworden, und jeder weiß, daß das Wort »umgänglich« im Vokabular eines Griesgrams, der auf sich hält, keinen Platz
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