Die Katze namens Eisbär
Tür mir im Weg war. Draußen saß Marian mit Eisbär an einem der Tische in der Sonne. »Ich war ein Weilchen drinnen und hab zugesehen«, sagte sie, »aber Sie haben mich gar nicht bemerkt. Sie haben nicht einmal Eisbär bemerkt.«
Ich erklärte ihr, daß einem das beim Schachspiel immer so geht – man hört und sieht nichts um einen herum.
»Und wie ist es gelaufen?« fragte sie munter.
Ich gab brummig zu, daß ich verloren hatte. »Was, Sie haben verloren?« rief sie. »Gegen dieses kleine Mädchen! Die gegen euch alle gleichzeitig angetreten ist.«
Ich bat sie, doch bitte ihre Stimme etwas zu senken. Es bestand keinerlei Notwendigkeit, meine Niederlage im ganzen Park herumzuposaunen. Im übrigen, erklärte ich ihr, hatte die Kleine in Wirklichkeit gar nicht gegen uns alle zu gleicher Zeit gespielt. Es war eine sogenannte »Simultanpartie« gewesen, und das ist etwas ganz anderes. Ich versuchte, ihr den Unterschied zu erklären, gab es aber gleich wieder auf. »Ich fühle mich nicht wohl«, sagte ich. »Ich glaube, ich bin krank.« Aber Marian ließ es damit nicht gut sein.
»Naja«, sagte sie, »wenigstens haben Sie das nicht schon gesagt, ehe das Turnier losging. Da konnte sie hinterher nicht behaupten, sie hätte in vierzig Jahren Turnierpraxis noch nie einen Mann besiegt, der völlig gesund war. Außerdem ist sie dazu ja auch noch nicht alt genug.«
Das ist das Schlimme an Marian, sie hat ein Gedächtnis wie ein Elefant und erinnert sich an alles. Ich kann bis heute nicht verstehen, warum Gott so vielen Frauen ein gutes Gedächtnis und so vielen Männern ein absolut schlechtes Gedächtnis mitgegeben hat. Wo wir Männer ein gutes Gedächtnis doch viel dringender brauchen. Frauen erinnern sich ja sowieso immer nur an Dinge, die für uns peinlich sind. Das hier war wieder mal ein typisches Beispiel. Es ist schlimm genug, daß Marian meine Lieblingsanekdötchen samt und sonders im Kopf hat, aber dann auch noch in einem solchen Moment auf eine davon anzuspielen – zumal sie von Schach keine Ahnung hat –, das war wirklich die Höhe. Wenn Frauen schon ein so gutes Gedächtnis haben, warum können sie dann nicht daran denken, daß es manchmal gut ist, sich gewisser Dinge nicht zu erinnern?
Wie dem auch sei, auf dem Weg nach Hause versuchte ich ihr zu erklären, daß der Spieler, der gegen eine ganze Gruppe von Gegnern antritt, im Vorteil ist. Erstens nämlich bekommt der Einzelherausforderer die weißen Figuren, und das ist an sich schon ein Vorteil. Zweitens muß er seinen Zug erst dann machen, wenn er an das nächste Brett herantritt, wogegen der andere ziehen muß, sobald der Herausforderer kommt. Das heißt, der ganze Druck lastet auf den Gruppenspielern und nicht auf dem Einzelherausforderer – oder in diesem besonderen Fall der Herausforderin.
Ich hatte mich gerade so richtig in Hitze geredet, als plötzlich ein wuscheliges weißes Tier auf uns zusprang, das Marian und ich, aber bestimmt auch Eisbär, im ersten Augenblick für ein Schaf hielten.
Wir befanden uns gerade in einem Teil des Parks, der Schafswiese genannt wird, obwohl dort seit Menschengedenken kein Schaf mehr gesichtet worden ist. Und das Tier, das uns gewissermaßen in den Schoß gesprungen war, war natürlich auch kein Schaf, sondern ein altenglischer Schäferhund – beinahe das genaue Abbild des allerersten Hundes, den ich besessen hatte. Ich beugte mich über ihn, um ihn zu streicheln, obwohl mir das einige Mühe machte, da Eisbär mir bei der zutraulichen Annäherung des jungen Hundes buchstäblich auf den Kopf gesprungen war und sich nun mit beiden Vorderpfoten in meine Ohren krallte, während er in höchster Empörung fauchte. Ich glaube, er war vor allem deshalb so außer sich, weil er noch nie in seinem Leben einen altenglischen Schäferhund gesehen und nicht die blasseste Ahnung hatte, was das für ein Wesen war. Auf jeden Fall aber war es ihm viel zu groß und zu ungestüm, und er fand wohl, es hätte in der Nähe eines kultivierten Katers nichts zu suchen.
Das Tier war offensichtlich entlaufen, und Marian und ich sahen unsere erste Aufgabe darin, seinen Besitzer zu finden. Da der Hund weder Halsband noch Leine trug, schlug Marian vor, ich solle meinen Gürtel abnehmen und ihn dem Hund umlegen. Ich protestierte. Zwar halte ich mich, wie ich schon sagte, durch regelmäßige Märsche zum Schachhaus fit, aber ich bezweifelte stark, daß meine Hose ohne den Gürtel nicht abwärts sausen würde, zumal ich ja keine Hand frei
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