Die Katze namens Eisbär
So fremd sie ihm jedoch waren, sie schienen ihm, da bin ich sicher, ein äußerst angenehmes Leben zu führen. Wenn sie nicht gerade fraßen oder kauten, lagen sie faul im Gras und schöpften Kraft, um erneut nach Herzenslust fressen und kauen zu können.
Ich bog wie immer mit wachsender Vorfreude und Erregung in die ungeteerte Straße ein, die zur Ranch führt. Am Tor hielt ich erst einmal an, wie ich das stets tue, um mir das Schild anzusehen, fuhr dann ein Stück hinein, hielt wieder an, schaltete den Motor aus und blickte mich in aller Ruhe um. Überall waren Tiere. Dort drüben in der Ferne konnte ich den mächtigen Kopf Congas, des Elefanten, erkennen. Noch ein Stück weiter jagte eine Herde wilder Mustangs über die Weide. Und näher bei mir waren alle möglichen Arten von Tieren, deren Kümmernisse, wie auf dem Schild über dem Tor stand, vorüber waren und die hier ein Zuhause gefunden hatten.
Es dauerte nicht lange, da kam einer der Rancharbeiter angefahren, begleitet von der Mischlingshündin Lady, die wir auf der Ranch nur unseren Oberhund nennen. Fröhlich rannte sie neben dem Wagen her. Eisbärs Meinung über sie sank auf den Nullpunkt, als sie es irgendwie schaffte, ihm mitzuteilen, daß sie nicht für die Bewachung von Menschen, sondern von Tieren zuständig war. Aber er brauchte ihre Anwesenheit nicht lange zu ertragen, da wir nach kurzer Begrüßung mit dem Mann die Fahrzeuge tauschten und zu einer Besichtigungstour der Ranch aufbrachen.
Ein Tier besuche ich immer zuerst, wenn ich auf die Ranch komme. Es ist ein ganz besonderer kleiner Burro namens Friendly. Als wir die große Burro-Weide erreicht hatten, kurbelte ich erst die Wagenfenster hoch, damit Eisbär nicht entwischen konnte, dann stieg ich aus, und noch ehe ich Friendly auf der Weide entdeckt hatte, entdeckte sie mich und kam zu mir gelaufen. Sie galoppierte nicht – Burros galoppieren selten –, sie trabte, was für einen Burro Höchstgeschwindigkeit ist. Als Friendly so nah herangekommen war, daß ich nur den Arm auszustrecken brauchte, um sie zu streicheln, warf ich einen Blick zum Wagen und sah, daß Eisbär nicht nur neugierig herüberschaute, sondern mir durch heftiges Kratzen am Fenster zu verstehen gab, daß er herauswollte. Ich ging sofort zurück, um ihn zu holen und mit dem ersten Burro bekannt zu machen, den er je gesehen hatte.
Friendly ist ein Rauhbein, wenn sie es mit Tieren ihrer Größe oder solchen zu tun hat, die größer sind als sie. Aber kleineren Geschöpfen gegenüber benimmt sie sich stets absolut damenhaft, und Eisbär, diesem Zwerg, zeigte sie sich von ihrer freundlichsten Seite. Er hielt es nicht einmal für nötig, eifersüchtig zu werden. Während Friendly mir freundschaftlich ihren Kopf in den Bauch stieß und Eisbär keck ihren Hals mit seiner Pfote erkundete, dachte ich, wie so oft, daran, welch wichtige Rolle dieser kleine Esel bei unserer ersten größeren Rettungsaktion gespielt hatte.
Friendly war unter der ersten Gruppe Burros, die wir aus dem Grand Canyon retteten. Fest angeseilt wurde sie von einem Hubschrauber aus den Tiefen heraufgetragen. Ich war auf der Koppel, als sie über den Rand gehoben und sachte zu Boden gesetzt wurde. Anders als die übrigen Burros bisher, ergriff Friendly nicht augenblicklich die Flucht vor uns, sondern blieb stehen und betrachtete uns mit diesem nachdenklichen und philosophischen Blick, der, wie ich bald lernte, typisch für sie war. All das, was ihr zugestoßen war – die Jagd auf sie und ihre Genossen, die Gefangennahme, der donnernde Flug durch die Lüfte, die Landung mitten unter Hunderten neugieriger Menschen –, das alles war sicherlich beängstigend und unverständlich gewesen; kein Wunder, daß sie uns jetzt ansah, als hätte sie eine Bande Verrückter vor sich. Aber sie spürte, daß wir ihr nicht weh tun wollten, und damit stand für sie fest, daß wir nicht durch und durch schlecht sein konnten.
An jenem ersten Tag ging ich nach Einbruch der Dämmerung noch einmal auf die Koppel hinaus. Zum erstenmal wagte ich mich unter die Burros, die vor Stunden noch völlig »wild« gewesen waren, und suchte nach Friendly. Hinter mir auf dem Zaun hockten ein paar Cowboys, die bei dem Rettungsunternehmen mitgewirkt hatten. Ich hörte sie lachen und hatte den Eindruck, daß sie über mich lachten. Als ich mich nach ihnen umdrehte, wußte ich, warum. Während ich nach Friendly gesucht hatte, war sie die ganze Zeit in der Dunkelheit auf leisen Hufen hinter mir her
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